„Seien Sie vorsichtig und gucken Sie, was da rumsteht!“

Freispruch für „Anti-Kinderporno“-Aktivisten: Systemprovider wollte Behörden bei der Internet-Suche nach Tätern helfen, machte sich aber verdächtig

FRANKFURT taz ■ Die Plädoyers dauerten nur wenige Minuten. Dann verkündete Eberhard Stamm, Vorsitzender Richter am Landgericht in Frankfurt am Main, das Urteil in zweiter Instanz: Freispruch. Und schob eine väterliche Ermahnung an den Angeklagten, den 43-jährigen Systemprovider Udo B., hinterher. Die Rechtslage sei diffizil, die Situation gefährlich: „Seien Sie vorsichtig und gucken Sie immer, was da rumsteht!“

B. war wegen des Besitzes von Kinderpornografie in erster Instanz zu einer Geldstrafe von 1.300 Euro Geldbuße verurteilt worden. Der Ärger für den engagierten Kinderschützer begann 1997, nachdem er im Internet zufällig auf zahlreiche Seiten mit Kinderpornografie gestoßen war. B. empörte sich, suchte mit Freunden nach den Tätern, sammelte elektronisch Beweismaterial und übergab es der Polizei. Er habe, sagt er, damals nur helfen wollen, weil die Behörden sich mit Computern noch nicht so gut ausgekannt hätten.

Sein größter Erfolg wurde ein weltweiter Polizeieinsatz gegen das Vertriebsnetz des US-amerikanischen Anbieters John F. Grabenstetter, dessen Rechner in Basel B. aufspürte. Schon damals geriet B. unfreiwillig mit dem Gesetz in Konflikt. Nachdem er Kölner Polizeibeamten sein auf einer Diskette gespeichertes Beweismaterial übergegeben hatte, ermittelte die Bonner Staatsanwaltschaft auch gegen ihn wegen Besitzes von Kinderpornografie. Das Verfahren wurde zwar nach kurzer Zeit eingestellt.

Doch B. verstand nur schwer, dass den Behörden gar nichts anderes übrig blieb, als zu ermitteln. Denn so steht es nun einmal im Paragraphen 184 des Strafgesetzbuches. Wer Pornografie „herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält oder in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen unternimmt“, macht sicht strafbar. Und sei es auch nur für einen noch so guten Zweck.

Der zweite Schlag ereilte B., inzwischen Vorstand des von ihm mitbegründeten Vereins „Anti-Kinderporno“, bei einer polizeilichen Durchsuchung seiner Wohnung und des dort untergebrachten Vereinsbüros. Hessische Beamte beschlagnahmten im Sommer 1999 vier Rechner, Dutzende CD-ROMs und mehrere 100 Disketten. Auf drei CDs fand sich Hardcore-Kinderporno, die B. im Gerichtssaal selbst als „Kinderfolter“ klassifizierte. Wie diese ins Büro gekommen seien, sagte der Anklagte aber, wisse er selber nicht. Er selbst habe sie nie gesehen. Das Vereinsbüro habe allen Mitgliedern offen gestanden, es habe einige Fluktuation geherrscht. Sich mit ständig mit Kinderpornografie zu befassen, „das hält niemand lange aus“.

Dem Verein sei zur Unterstützung seiner Arbeit von Usern immer mehr Material zugeschickt worden, per E-Mail ebenso wie auch per Post. Er selbst sei sich der juristischen Problematik seiner Arbeit sehr wohl bewusst gewesen und habe stets darauf geachtet, dass nichts Gesetzwidriges gespeichert oder im Büro gelagert werde. Es spreche geradezu für seine Unschuld, dass es die Disketten gab: „Wenn ich die gekannt hätte, wären sie garantiert nicht dagewesen.“ Ein Sachverständiger des Landeskriminalamtes bestätigte als Zeuge, dass von dem inkriminierten Material keine Spur auf den Privat- oder Vereinsrechnern zu finden gewesen sei. Es sei dort weder geladen noch hergestellt worden noch überhaupt kompatibel gewesen.

Die Staatsanwaltschaft nannte dies eine „Schutzbehauptung“. B. sei ein „selbst ernannter Ermittler“, der sich schon einmal „eine blutige Nase geholt“, dabei aber nichts dazugelernt habe. Richter Stamm hatte schon vor dem Freispruch erklärt, dass er dem Angeklagten glaube, dass er „kein Päderast“ sei, verlangte aber „eine gewisse Sensibilität“, wenn man wisse, „dass man sich auf einem gefährlichen Gebiet bewegt“. Besitz von Pornografie sei nun einmal strafbar.

Der Verein, erklärte B. abschließend, habe seinen Schwerpunkt ohnehin verändert, weg vom Aufspüren von Straftätern hin zur Beratung und Vernetzung von Betroffenen.

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