Hundert Prozent gefühlsecht

„When Love Turns to Poison“ und Kunst mit Pornografie spekuliert: Eine beklemmende Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg über die Erträglichkeit der Bilder

Ein klassischer Hardcore-Porno à la Puppenkiste: Zwei „Räuber Hotzenplotz“-Figuren haben sich eine blonde Kinderpuppe geschnappt und stecken im Laufe einer Videosequenz immer wieder ihre Nasen zwischen die Beine der drallen Plastikschönheit. Der Puppen-Sexfilm ist Teil der Ausstellung „When Love Turns to Poison“ im Kunstraum Kreuzberg, die sich – oberflächlich betrachtet – mit lauter pornografischen Schlüsselreizen beschäftigt: Riesenpenisse, Unterhöschen, Blow-Jobs.

Das liegt ja voll im Trend: die Ästhetik von Schmuddelfilmchen als popkulturelle Befreiung des Kunstkanons zu feiern. Thomas Ruffs unscharfe Internetfunde über dem Wohnzimmersofa oder pornobebilderte Technoveranstaltungen – wichtig dabei ist immer die Attitüde moralischer Unaufgeregtheit.

„When Love Turns to Poison“ funktioniert aber nicht ganz so. Stéphane Bauer vom Kunstraum will keine simple Sex-sells-Ausstellung machen. „Unser Anliegen war es, die ambivalente Haltung zum Thema Sexualität ohne verkrampfte Political Correctness zu zeigen“, sagt der Kurator. Primär gehe es um die Frage, ob und wie man sexuelle Fantasien in der Kunst darstellen darf. Dabei geht es auch um die gesellschaftliche Rezeption von Pornografie und das Verhältnis von Künstler und Modell.

Die Ausstellung zeigt sieben teilweise sehr extreme Positionen, die gegen die Gleichgültigkeit des Betrachters arbeiten: Sie erzeugen mal Erheiterung, mal Unwohlsein. Statt eine theoretische Diskussion über die Grenzlinie zwischen Kunst und Pornografie loszutreten, zwingt sie den Besucher, sich zu verorten – zu entscheiden, was er ertragen kann und was nicht.

Der schon erwähnte Puppen-Sexfilm von Mathias Seidel trägt den Titel „Show the doctor what you have done“. Der Künstler prangert damit sowohl den sexuellen Missbrauch von Kindern an als auch jene Phrasen, die eine Teilschuld der Opfer suggerieren und der öffentlichen Erregung dienen. In einer anderen Videoarbeit Seidels sind Pornoszenen von einem feinen Netzwerk bedeckt – keine Strumpfhosen, sondern Blutbilder von Krankheiten, die mit dem Aids-Virus in Verbindung gebracht werden. Love turns to poison.

Pornografiekritisch will auch Françoise Cactus sein. Die poppigen Motive ihrer Malerei sind zum Teil mit Klosprüchen verziert: „Marie ist eine Schlampe“. „Es macht mir Spaß, den männlichen Blick auf die Frau zu verarschen“, sagt Cactus. Ihre aus Wolle gehäkelte Sexpuppe fungiert in der Ausstellung als Antithese zu den grenzwertigen Positionen einiger männlicher Kollegen.

Während Frank Gaards poppige Blow-Job-Karikaturen eigentlich nur trashig wirken, sind die Arbeiten von Stu Mead richtig gruselig. Im Stil von Kinderbuchillustrationen malt Mead kleine Mädchen, die zur Zielscheibe sexueller Begierde werden – von notgeilen Teddybären, mechanischen Hunden oder halbnackten Polizisten. Die Verletzlichkeit der Kinderwelt und ihre unmittelbare Bedrohung, die in den Bildern zum Ausdruck kommt, erzeugen beim Betrachter Beklemmung.

Offen bleibt am Ende, ob die Ausstellung solche Empfindungen kalkuliert oder eher zufällig auslöst. Vielleicht ist das auch egal. Wichtiger scheint, dass sich beim Betrachten einiger Werke überhaupt ein Unwohlsein einstellt. Denn das ist eine Erfahrung, die nur selten gemacht werden kann – die Mediengesellschaft hat die eigene Abgebrühtheit zu sorgfältig erlernt. „When Love turns to Poison“ zeigt, dass es weiterhin Bilder gibt, die schwer zu ertragen sind. Auch wenn sie nur gemalt sind.

TIM ACKERMANN

„When Love turns to Poison“: bis 9. Mai im Kunstraum Kreuzberg, Mariannenplatz 2. Di.–So., 9–12 Uhr