Schwach im Geiste

Thor Kunkel liest. Der Moderator fühlt sich unwohl. Das Publikum fällt in Trance und langweilt sich. Nur einer regt sich echt auf und benutzt das Buch als Wurfgeschoss

Wenn es dieser Tage jemanden gibt, mit dem man partout nicht tauschen möchte, dann ist es Thor Kunkel. Nicht dass man etwas gegen seinen eindrucksvoll gestählten Bizeps hätte, auch die gesunde Bräune und das auf den Punkt verwuschelte Haar stehen ihm gut. Trotzdem ist er – so viel steht selbst nach oberflächlicher Lektüre seines umstrittenen Romans „Endstufe“ fest – eine traurige Gestalt: Sein Fleisch mag willig sein, sein Geist ist eher schwach.

So legte sich zur offiziellen Buchpremiere in der gut gefüllten Kalkscheune bald bleiernde Langeweile über das vorsorglich nach Waffen durchsuchte Publikum. Der Moderator, Volker Weidermann von der FAS, verlas eine hastige Einführung – wie infam einige Vorverdächtigungen Kunkels gewesen seien und dass jetzt, nach all dem Wirbel, das Buch für sich sprechen müsse. Von nun an ging es bergab: Kunkel, der im Klappentext seines Buchs noch behauptet hatte, mit Hilfe der Pornografie als Metapher das Dritte Reich in seiner Gänze erfassen zu wollen, stapelte vorsorglich tief: „Endstufe ist vor allem eine romantische Liebesgeschichte“, sagte er und warf sich, ohne zur Vorgeschichte ein Wort zu verlieren, mitten in den Text. Wenn es denn überhaupt einen roten Faden gab, das Publikum hatte ihn so gleich zu Beginn verloren und konnte sich nun umso konzentrierter dem Stilblüten-Stakkato des Kunkel’schen Romanpersonals widmen. Von Romantik keine Spur. Kunkel schien bewusst so lange die langweiligsten Stellen vorzulesen, bis sein beinharter Bastei-Lübbe-Sound auch den letzten Zuhörer in eine Art Trash-Trance versetzt hatte – aus der auch mit „Sieg Geil“ tätowierte Ärsche nicht mehr heraushalfen.

In der anschließenden Diskussion konnte einem dann wieder Kunkel Leid tun. Die Monotonie seines Buchs versuchte er mit Velvet Underground zu rechtfertigen – „Die haben auch ganz lange den gleichen Riff gespielt“ –, seine Grundmotivation entlieh er bei Sebastian Haffner: „Der hat auch angefangen zu schreiben, weil er das Gefühl hatte, im Geschichtsunterricht betrogen worden zu sein.“ Er, Kunkel, wolle die Nazis eben nicht nur als bellende Stereotype zeigen, ihn habe die Dekadenz interessiert, aber auch die Normalität in all dem Wahnsinn.

Dann hatte Eichborn-Lektor Wolfgang Hörner das Wort, der die Gelegenheit, Kunkels Text in minimaler Zeit maximal zu demontieren, eindrucksvoll zu nutzten wusste. Es sei „über weite Strecken“ brillant geschrieben, ließ Hörner verlauten und schien nicht zu merken, dass er damit sowohl Kunkel als auch das eigene Lektorat abwatschte.

Man hätte nun getrost nach Hause gehen können, um – kopfschüttelnd über so viel Unvermögen – von einem skandalfreien Abend zu berichten. Wenn nicht Kunkel, kurz vor Abpfiff, einem schlecht gelaunten Herrn mit Künstlerhut doch noch die entscheidene Flanke geliefert hätte. Wer sein Buch als obszön verurteile, so Kunkel, habe nie Miller, Bataille oder Nabokov gelesen.

„Die konnten im Gegensatz zu dir schreiben“, brüllte Wiglaf Droste von der Bar, „die haben im Gegensatz zu dir nicht so schrecklich gelangweilt.“ Kunkel verbat sich zu Recht, derart angebellt zu werden, was Droste wiederum vollends austicken ließ. Wie aus dem Nichts tauchte er vor dem Podium auf, beleidigte gleichermaßen alle Diskutanten und schleuderte schlussendlich das Lesungsbuch Richtung Autor. Was blieb, war betretenes Schweigen und eine Ahnung dessen, was es dieser Tage heißen muss, Thor Kunkel zu sein. Auch wenn es hoffentlich nur für Droste ein Verbrechen ist, schlechte Bücher zu schreiben: Es wird eine ungemütliche Lesereise werden.

CORNELIUS TITTEL