Örovizyon-Sieg! Ist es zu fassen?

Na also: Die Türkei glaubt mal wieder fest an die EU-Mitgliedschaft. Ein Zwischenruf aus Istanbul

ISTANBUL taz ■ Die Türken weltweit werden wieder von einer längst eingedämmten Seuche heimgesucht, die sie in den letzten 28 Jahren unzählige Tränen und unbeschreibliches Leid kostete: „Örovizyon“ heißt sie und ja, it is true, es ist schier unglaublich – the winner is really Turkey!! Unbelievable, inanilmaz! Die kleine Sertab schafft es in Riga, die Türkei zur Siegerin in Europa zu machen, man stelle sich vor.

Na also.

Die ganze Türkei ist aus dem Häuschen und glaubt jetzt mal wieder fest daran, dass es klappen wird mit der EU-Mitgliedschaft, mit den Reformen, mit der Überwindung der Wirtschaftskrise, schließlich hat die Kleine mit der großen Stimme es vorgemacht, wenn man will, schafft man alles. Und hatte man die Sertab nicht im Vorfeld fertig gemacht mit Vorwürfen?

Warum singt sie auf Englisch, das ist unnationalistisch, kulturimperialistisch; die Showeinlage mit Bauchtanz ist Orientalismus pur, der Videoclip im türkischen Bad ist sexistisch und so weiter und sofort. Aber das will jetzt doch niemand gesagt haben, das Konzept ist aufgegangen, jetzt kommt der Wettbewerb in die Türkei, Istanbul freut sich und bedankt sich bei allen, die Turkey ten or eight points gegeben haben. Allerdings bleiben die Autocorsos zur nächtlichen Stunde aus. So ein Gesangswettbewerb ist eben keine Fußballweltmeisterschaft.

Nebenbei bemerkt ist Sertab Erener, 39, eine wirklich gute Sängerin mit klassischer Gesangsausbildung. Sertab will jetzt das schaffen, was Tarkan den Türken seit Jahren verspricht, aber nicht fertig bringt: Mit einer englischen CD ganz groß herauskommen. Und Lob verdienen natürlich auch die zwei deutschen Bauchtänzerinnen, die sie in Riga so gekonnt begleitet haben. Sagen wir doch immer: Deutsch-türkische Synthesen sind unbesiegbar.

DILEK ZAPTCIOGLU