Lehrstück vom Klassenkampf

Mittels Montage das marxistische Axiom auf die filmischen Mittel übertragen: Mit Jakow Bliochs „Das Dokument von Shanghai“ zeigt das Metropolis eine Rarität des agitatorischen Dokumentarfilms

Als im März 1927 die Kommunistische Partei Chinas in Shanghai zum Generalstreik aufrief, um den Siegeszug der nationalistischen Kuomintang gegen die britischen Kolonialherren zu unterstützen, schien die Hoffnung der Sowjetunion auf eine weitere Etappe in der sozialistischen Weltrevolution kurz vor ihrer Verwirklichung zu stehen.

Zwar musste diese Hoffnung – nach der Zerschlagung der Arbeiterorganisation durch die Armee von Tschiang Kai-Tschek – erst einmal begraben werden, doch der Aufstand selbst, seine sozialen Hintergründe und seine Organisation galt damals vielen Künstlern und Intellektuellen als geradezu mythische Exemplifikation revolutionärer Befreiung. André Malraux‘ preisgekrönter Roman La Condition Humaine aus dem Jahr 1933 beispielsweise erzählt seine Geschichte vor dem Hintergrund dieser Ereignisse.

Der sich als Dokumentation verstehende Film des sowjetischen Regisseurs Jakow Blioch Das Dokument von Shanghai aus dem Jahre 1928 ist ein Musterbeispiel politischer Kunst, dessen Montagetechnik das marxistische Axiom von der historischen Wahrheit des Klassenkampfes auf die formalen Mittel filmischer Darstellung zu übertragen versucht. Blioch, neben dem ungleich bekannteren Sergej Eisenstein einer der Pioniere des agitatorischen Filmschaffens, montierte die vor und während des Aufstands entstandenen Bilder nach einer fast schon dialektisch zu nennenden Methode zu einem regelrechten Lehrstück der Revolutionstheorie. Aufnahmen von hart arbeitenden Kulis und im Schmutz der Straße spielenden Kindern werden von Bildern der in Luxus und Langeweile schwelgenden Kaste der Kolonialelite und des chinesischen Bürgertums kontrastiert. Der Antagonismus der Klassen spiegelt sich in den Bildern, und die fortschreitende Klimax des Aufruhrs ist zugleich die treibende Dramaturgie des Films selbst.

Bliochs damals international erfolgreicher Film ist nicht nur ein Klassiker propagandistischer Filmkunst, sondern mittlerweile auch eine veritable Rarität. Lediglich zwei Kopien existieren von dem in Moskau befindlichen Original. Eine liegt im New Yorker Museum of Modern Art und die andere gehört als Leihgabe zum Bestand der Cinémathéque Suisse. Eigentlich passend, dass letztere Filmrolle dementsprechend beinahe konspirativ mit dem Nachtzug nach Hamburg transportiert wurde.

MATTHIAS SEEBERG

heute, 21.15 Uhr, Metropolis, Einführung: Thomas Tode und Roland Cosandey