Ökumene muss auf die Matte

Kicker, Kirchentag, Grillfreunde: Harald Büttner, Leiter des Straßen- und Grünflächenamts in Mitte, muss seinen Rasen trotzdem grün und frisch halten. Ein Gespräch mit Berlins oberstem Greenkeeper

Interview JÖRN KABISCH
und SUSANNE LANG

taz: Herr Büttner, ist der Reichstagsrasen ein eigenes Biotop?

Harald Büttner: Der eigentliche Biotopbegriff aus der Ökologie trifft für Rasenflächen nicht unbedingt zu. Als Rasen bezeichnet man niedrige Vegetationstypen mit verschiedener Gräserzusammensetzung. Vor dem Reichstag haben wir den ganz typischen Scherrasen mit der in Berlin sehr oft verwandten „Tiergarten-Mischung“, nach dem Tiergarten benannt. Der Scherrasen ist geeignet für extrem hohe Trittbelastung.

Warum dürfen dann die Kicker darauf nicht spielen?

Scherrasen ist nicht gleich Scherrasen. Der vor dem Reichstag ist als Liegewiese konzipiert. Sportrasen hat eine andere Zusammensetzung, die Benutzungsintensität ist ganz anders. Der Platz wird nicht mehr als 12, maximal 16 Stunden pro Woche benutzt. Es ist – um das mal ganz deutlich zu sagen – ein echtes Kunstprodukt, ausgelegt für eine besondere Nutzung, das Fußballspielen.

Sind Jesuslatschen weniger belastend als Fußballstollen?

Für den Kirchentag haben wir ganz besondere Vorkehrungen treffen müssen: eine Matte, die sich bei Großveranstaltungen durchaus bewährt hat. Zum Beispiel bei Michael Jackson in München.

Matte – was meinen Sie?

Das ist eine Mehrschichtgummierung, eine Schutzmatte, die auf die gesamte Platzfläche aufgetragen wird. Sie hat eine hohe Dämpfung. Die Trittbelastung wird flächig verteilt, und es gibt anschließend keine Spuren. Allerdings darf sie nur sehr kurz aufliegen, weil die Besonnung und die Belüftung des Platzes fehlt.

Dann heißt Ihr Motto also „matten und beten“?

Wir denken ja nicht nur an den Rasen. Die Hecken werden durch Absperrgitter geschützt, und Ordner sollen verhindern, dass die Bäume beklettert werden.

Was macht denn grundsätzlich eine schöne Anlage aus?

Das ist Geschmackssache. Wir haben 2001 mit der Untersuchung „Qualität und Nutzen öffentlicher Grünanlagen“ unsere Nutzer danach gefragt. Die überwiegende Mehrzahl der Menschen liebt offene, freie Räume. Wiesenflächen garniert mit Gehölzen, eine Art Kulisse, gerne auch ein bisschen Wasser dabei.

Wie steht es mit Ihrem professionellen Ehrgeiz? Beispiel japanischer Garten in Marzahn.

Ich habe ihn noch nicht gesehen. Zur Eröffnung war bedauerlicherweise nicht ein einziger Gartenamtsleiter eingeladen. Aber natürlich haben auch wir diesen Ehrgeiz. Wir werden hier in Mitte auch eine bedeutende Anlage einweihen: eine Rasenskulptur, eine Verbindung zwischen Kunst und konventioneller Gartengestaltung. Ich bin aber schon glücklich, wenn wir auf einem Kinderspielplatz etwas Gutes tun können.

Noch einmal zur Berliner Tiergarten-Mischung. Angeblich werden unter diesem Label auch minderwertige Rasenmischungen verkauft.

Sagen wir so: Derjenige, der bestellt, muss die Ware auch kontrollieren. Wenn wir Tiergarten-Mischung bestellen und sie aufbringen lassen durch die Fachfirma, dann ist natürlich ein Gärtner dabei und kontrolliert das.

Ist deshalb der Rasen vor dem Reichstag braun, weil die Mischung nicht gestimmt hat?

Ich glaube nicht, dass es an der Mischung lag. Da gibt es verschiedene andere Gründe. Der Platz wurde zu früh freigegeben, der plötzliche Wintereinbruch, der Ausfall der Beregnungsanlage über viele Wochen. Das ist tödlich in der Regenerations- und Wachstumsphase. Zudem war das Düngungsgerät nicht richtig eingestellt. Man sieht ja: Eine Bahn ist grün, die andere Bahn nicht. Da hat es beim Rückwärtsfahren ausgesetzt.

Wäre es nicht am besten, man würde gleich einen neuen Rasen machen?

Haben Sie die 22.000 Euro dabei? Und die wären nur für den engeren Bereich. Der Gesamtaustausch des Rollrasens kostet 880.000 Euro. Das hat keiner.

Sind vor dem Reichstag wirklich schon Bußgelder kassiert worden?

Das läuft anders. Wir stellen ja erst mal die Verstöße fest. Es wird gegrillt. Es wird Fußball gespielt. Es wird geritten.

Geritten?

Ach, was wir schon an exotischen Dingen erlebt haben. Da heben Leute zwei mal zwei Meter tiefe Gruben aus, füllen sie mit Holzkohle voll und schmeißen einen Hammel rein oder eine Sau, wie vor 14 Tagen.

Das Bußgeld wird also generell vergeben?

Wir erteilen es immer bei Verstößen gegen das Gesetz zum Schutz der öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen. Gegen jemand, der zum Beispiel in der Grünfläche mit dem Mountainbike rumfährt, der Blumen entnimmt – auch ein schwer wiegendes Problem. Immer Muttertag oder Allerheiligen sind die Freunde unterwegs mit der kleinen Gartenschere und knipsen in den Sträuchern rum oder graben ganze Rhododendren aus. Das sind die Ordnungswidrigkeiten. Und dann gibt es ein Verfahren.

Welcher Feind ist denn für Sie der größere: Kicker und Hammel oder die Miniermotte?

Mit der Miniermotte und anderen Schädlingen muss ein Gärtner leben. Wir wären schlechte Gärtner, wenn wir keine Mechanismen entwickeln könnten.

Das heißt, Sie arbeiten an einem Mittelchen gegen die Motte?

Na ja, Mittelchen – davon sind wir nicht so begeistert. Chemie ist keine gärtnerische Tradition.

Stichwort Tradition: Manche schneiden den Rasen mit der Nagelschere. Was ist denn die ideale Rasenhöhe?

Das ist ganz extrem von der Nutzung abhängig. Ich finde es unheimlich schön, unterschiedliche Höhen zu haben. Zum Beispiel, wenn man in eine große, hohe Wiese sternförmig Muster hineinscheidet. Über das Ästhetische hinweg hat das einen tiefen ökologischen Sinn. In der Natur hält sich die größte Artenvielfalt immer in den Übergangsbereichen auf. So etwas finde ich große Klasse. Nicht den englischen Rasen, der ganz kurz geschoren wird.