Merkel macht den Kaiser Wilhelm

Die CDU-Vorsitzende schwärmt plötzlich vom Erzkonkurrenten SPD – warum nur?

Merkels Worte klingen wie die Präambel eines schwarz-roten Koalitionsvertrags

BERLIN taz ■ Ihren kühnsten Schritt der letzten Wochen hatte Angela Merkel bereits hinter sich, als sie gestern vor die Kameras trat, um das Bremer Wahlergebnis zu kommentieren. Nach Wochen der wechselseitigen Blockadevorwürfe zwischen SPD und CDU hatte Merkel am vergangenen Freitag eine überraschende Wende in Aussicht gestellt: Sie veröffentlichte in der FAZ ein fast leidenschaftliches Plädoyer für eine Zusammenarbeit von CDU und SPD. In ihrem Pathos lesen sich Merkels Worte wie die Präambel für einen schwarz-roten Koalitionsvertrag.

140 Jahre SPD seien „wahrlich ein stolzes Alter und ein Grund zum Feiern – für alle Demokraten“, säuselte die CDU-Chefin, doch die „Rückschau auf große Sozialdemokraten, die wichtige Etappen der deutschen Geschichte geprägt haben“, sollte auch „Anlass zum Blick nach vorn sein – wieder für alle Demokraten“. Deutschland befinde sich in einer Zeit „geradezu epochaler Umbrüche“, beschwor sie die Stunde der Not. „Es sind die beiden großen Volksparteien CDU und SPD, die zur Gestaltung dieser Umbrüche in der Pflicht stehen.“ Es folgt eine Hymne auf die Genossen und ihre SPD, „die wie keine zweite die Partei der Industriegesellschaft war“ und danach strebe, „den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital aufzulösen“. Darin sei sie nur vergleichbar der Union als Erfinderin der sozialen Marktwirtschaft. Merkel gipfelt in einem Zukunftsappell, ganz als seien Schwarze und Rote schon immer Seit’ an Seit’ geschritten: „Das sind wahrhaftig große Leistungen, aber nichts, worauf CDU und SPD sich ausruhen könnten.“ Sonst allem sprachlichen Tand abhold, schloss Merkel im Stile Kaiser Wilhelms: „Dies ist nicht mehr die Stunde für kleinkariertes parteipolitisches Aufrechnen, nein, dies ist die Stunde der Wahrheit.“

Schon die Platzierung des Beitrags in einer FAZ-Rubrik („Fremde Federn: Angela Merkel“) sprach für Kalkül – die Ostdeutsche hatte dort auch ihre spektakuläre Abrechnung mit Spenden-Kanzler Kohl veröffentlicht. So sehr gestern Merkel die große Koalition auch als rein Bremer Modell abtat, soviel hätte sie selbst womöglich zu gewinnen, wenn Rot-Grün in Berlin vor der Zeit scheitert. Ist Gerhard Schröder erst einmal an seinen knappen Mehrheiten im Bundestag – und der Opposition im Bundesrat – verzweifelt, spricht manches für ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Merkel verzichtet namens der CDU auf die Forderung nach Neuwahlen – und Schröder wechselt den Koalitionspartner. Der Kanzler bliebe so zumindest bis 2006 Kanzler, seine Vize hätte ihren Rivalen Roland Koch für lange Zeit ausmanövriert. Noch, natürlich, ist das reine Spekulation. PATRIK SCHWARZ