Grüne Beiräte haben 18 plus

Interview mit der grünen Spitzenkandidatin Karoline Linnert über die Lage ihrer Partei nach dem halben Erfolg. „Die CDU gewinnt den Kuschelkurs nicht, Scherf ist als Oberkuschler immer besser“

taz: Haben die Grünen ihr Wahlziel erreicht?

Karoline Linnert: Nein. Wir wollten stärker werden. 12 plus X, das haben wir erreicht, darüber freuen wir uns. In der Stadt Bremen haben wir das beste Ergebnis unserer Geschichte, auf Landesebene das zweitbeste erzielt. Wir wollten aber auch die große Koalition ablösen – das haben wir nicht erreicht.

Aber bei den Beiratswahlen wurde gegen die große Koalition gestimmt.

Bei den Beiratswahlen haben wir insgesamt 18,2 Prozent der Stimmen bekommen. In der Östlichen Vorstadt haben wir sogar 40,79 Prozent erreicht, auch in Mitte sind wir mit 34,49 Prozent stärkste Partei. In Schwachhausen liegen die Grünen mit 27 Prozent noch vor der CDU.

Im Land 12,8 Prozent, bei den Beiräten 18,2 – bedeutet das, dass gut ein Viertel der Grünen-Wähler im Stadtteil Henning Scherf im Rathaus wollten?

So sieht es aus. Unser Bürgerschaftsergebnis wäre deutlich höher ausgefallen, wenn sich der Wahlkampf nicht in den letzten Tagen auf Henning Scherf zugespitzt hätte. Wir haben in den Beiräten eher die Ergebnisse bekommen, die der Sympathie für uns entsprechen. Sonst lagen wir bei den Beiratswahlen nur ein bis zwei Prozent über dem Landesergebnis.

Landespolitisch war die Alternative, für die die Grünen standen, nicht so überzeugend.

Wir haben ein Drittel Wähler hinzugewonnen, 11.000 Stimmen – das ist für Grüne viel.

Wäre es das Ende der großen Koalition gewesen, wenn die Grünen auf Landesebene 18 Prozent bekommen hätten?

Für Scherf wäre das, so wie ich den Wahlkampf erlebt habe, nicht zwingend gewesen. Die Zustimmung zur großen Koalition ist gleichzeitig deutlich geringer als die Zustimmung zu seiner Person. Es gibt natürlich auch im grünen Umfeld Menschen, die Henning Scherf supertoll finden.

Vor allem Frauen.

Ja, leider. Oder es gibt Leute, die die Alternativen zu Scherf nicht überzeugend fanden. Und es gibt Wähler, die sagen: Scherf soll den Sanierungskurs zu Ende bringen, und dann wird es eine Bewertung geben. Erst dann haben die Alternativen eine Chance.

Wann wird abgerechnet?

Wir werden 2005 keinen verfassungskonformen Haushalt hinbekommen. Das werden wir natürlich mit der erforderlichen Musik begleiten.

2005 will Scherf ja auch abtreten.

Naja, mal sehen. Die CDU hat erklärt, sie will diesen Bürgermeister für vier Jahre. Gleichzeitig bereitet die CDU schon ihre Position für die Zeit danach vor: Wenn alles auf die Karte Kanzlerbrief gesetzt wird, ist klar, dass am Ende der Bundeskanzler schuld an der Lage Bremens ist. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Volker Kröning baut da ja schon etwas vor, wenn er sagt, der Brief sei im Grunde schon eingelöst, da sei nicht mehr viel zu erwarten.

Henning Scherf hat gesagt, er habe alles zur Einlösung des Kanzlerbriefes bereits vorbesprochen.

Es gibt keine Hinweise dafür, dass das stimmt. Es gibt jedenfalls keine Gespräche mit dem Finanzministerium. Hans Eichel will damit nichts zu tun haben. Wenn man sich die Probleme anguckt, die Schröder hat, ist eher zu erwarten, dass Justizministerin Brigitte Zypries eine Länderneugliederung vorschlägt. Da wird Schröder nicht hunderte von Millionen nach Bremen schieben. In dieser Gemengelage hat die CDU einen Joker im Ärmel, den sie jederzeit gegen Schröder ziehen kann.

Für das Amt des Wirtschaftssenators hat die CDU allerdings keinen Joker im Ärmel.

So ist es. Hattig und Böse sind von der Fahne gegangen. Es ist bekannt, dass die Fraktionsebene sich einen Generationenwechsel wünscht. Hinter den Kulissen hat es ja großen Streit gegeben über den Kuschelkurs. Das hat man schon bei Ulrich Nölle gesehen: Die CDU gewinnt den Kuschelkurs nicht, Scherf ist als Oberkuschler immer besser. Von einer solchen Entpolitisierung profitieren immer die jeweils Stärkeren.

In zwei oder vier Jahren wird abgerechnet – und dann? Gibt es dann eine Alternative?

Ein großer Vulkanausbruch führt immer zu einer Bereinigung. Viel schlimmer ist ein schleichender Niedergang. 2005 keinen verfassungskonformen Haushalt, 2006 nicht, 2007 nicht, der Ruf Bremens leidet, alle erzählen, wie überflüssig Bremen ist. Das ist das worst case-Szenario, das droht.

Wenn man eine starke Figur hat, wäre es da nicht taktisch klüger zu sagen: Wir wollen mit Scherf, aber anders als die CDU?

Manche sagen das, andere sagen: Ihr wart viel zu nett zu Scherf. Wir müssen über Inhalte reden, das ist unsere einzige Chance – und das ist auch richtig. Langfristig wird die Entpolitisierung eher eine Rechtsentwicklung fördern. Nur Menschen, die es gewohnt sind, sich über Inhalte auseinanderzusetzen, sind demokratiefähig. Da haben die Grünen eine wichtige Aufgabe.

Fragen: Klaus Wolscher