Unschlagbare Schoko-Kreationen

Yucatan, Apothéose, Prestige, Pharaon, Mephisto, Napoléonette, Bonaparte und auch Princesse– die legendären Butterkaramellpralinen findet man in Brüssel. An die hundert private Confiserien sind eine süße Verführung

VON STEFAN TOLKSDORF

Wer durch die Galerie Royal St-Hubert in Brüssel schlendert, kommt an Jean Neuhaus’ Confiserie nicht vorbei. Den olfaktorisch Begabten zieht das herb-süße Aroma womöglich gleich hinter die Glastür, die Augenmenschen bleiben am Schaufenster kleben. In den Auslagen gold-grüne, raffiniert dekorierte Ballotins. Und dann, in Vitrinen, auf grünem Samt, jene süßen Verführungen, denen man nur schwerlich widersteht: Yucatan, Apothéose, Prestige, Pharaon, Mephisto, Napoléonette, Bonaparte und auch Princesse, jene Butterkaramellpraline, die Daniel Stallaert, der legendäre Maître Chocolatier, zur Geburt der Kronprinzessin kreierte.

Seit zwei Jahren darf sich Neuhaus, der führende belgische Chocolatier, zu den drei Hoflieferanten für die süße Tafel der belgischen Coburg-Gothaer zählen – ein Höhepunkt in der Firmengeschichte, die 1857 am Bahnhof von Neuchâtel begann. Hätte damals Jean Neuhaus den Zug nach Brüssel nicht bestiegen, sich nicht in das Heer jener besonderen Emigranten eingereiht, das die Hauptstadt des jungen Belgien zu einer der glänzendsten Kulturmetropolen Europas machte, wer weiß: Vielleicht könnte die Schweiz sich heute nicht nur rühmen, die Wiege der Milchschokolade zu sein. Der Aussiedler eröffnete mit seinem Schwager, einem braven Apotheker, in der Königinnengalerie 25–27 eine „pharmazeutische Confiserie“, wo neben Hustenbonbons, Lakritze und süßen Drops für Magenkranke auch Bitterschokolade zu haben war – noch vorzugsweise für den Trinkgenuss. Der Schweizer Kombination „Süß und Gesund“ war Erfolg beschieden. Schließlich kam die noble Kundschaft vor allem der Leckereien wegen, so dass Sohn Frédéric gut daran tat, den Laden 1895 in eine Confiserie zu verwandeln. Dessen Sohn und Erbe schließlich, gleichfalls Jean mit Namen, spritzte nun 1912 als Erster mit der Konditortüte feinste Crème Caramel in eine Schokoladenform und taufte seine Kreation nach jenem barocken Marquis de Praline, dessen Küchenjunge, zur Freude seiner Herrschaft, eine Mandel versehentlich in flüssige Zuckermasse fallen ließ. Die neue und eigentliche Praline war nun nicht mehr hart, definiert sich vielmehr über einen hauchdünnen Schokoguss, unter dem feinste butterweiche Füllung wartet.

Noch immer wird ein Drittel der 2.400 Tonnen Luxuspralinen, die Neuhaus jährlich auf den Markt bringt, aufwendig von Hand gefertigt. Mit einem Jahresumsatz von 60,3 Millionen Euro und 2.000 Verkaufsstellen in fünfzig Ländern ist die inzwischen von der Familie Poncelet als Holding betriebene Firma nun Belgiens Pralinenfabrikant Nummer eins, gefolgt von Godiva.

An die 100 private Confiserien machen Brüssel zur unangefochtenen Pralinenhauptstadt Europas. Unser Rundgang beginnt auf der Grande Place. Hinter der barocken Prunkfassade des „Hôtel des Ducs de Brabant“ lassen wir uns in die Geschichte des schwarzen Goldes einführen. Denn hier befindet sich das beste der fünf belgischen Schokoladenmuseen.

In nicht flüssiger Form wurde „Chocolat“ erst konsumiert, seit der Holländer Johannes van Houten mit einer Spezialpresse Kakaofett und -pulver zu trennen vermochte. Unter erneuter Zugabe des Pflanzenfetts, von Milch und Zucker konnte sich die Masse zu dem verfestigen, was uns heute auf der Zunge zergeht.

Van Houten ging in dem belgisch-französischen Konzern Barry-Callebout auf, dem heute zweitgrößten Produzenten von Schokoladenkuvertüre, der Grundsubstanz der belgischen Praline. Ganze 300 verschiedene Kakaosorten sind nach ihren Anbaugebieten zu unterscheiden.

Wer testen möchte, ob Schokolade etwa auch an Hähnchen schmeckt, geht gleich ums Eck ins Bistro „Planète Chocolat“ in der Rue du Lombard oder bestellt (lange genug im Voraus) einen Tisch im Parvis St-Pierre im Vorort Uccle, wo man sich auf so exquisite Kulinaria wie Kakaosuppe und Fischpastete mit weißer Schokolade versteht. Danach vielleicht ein Verdauungsspaziergang durch die Rue au Beurre, wo der königliche Hoflieferant Galler mit seinen berühmten Buttertrüffeln aufwartet und vis-à-vis der Traditionskonditor Dandoy mit kindergroßen Spekulatiusfiguren nach Motiven aus dem alten Brüsseler Volkstheater überrascht.

Unsere süße Promenade führt weiter zu Brüssels zweitschönstem Platz, zum Grand Sablon, zu zwei der besten Chocolatiers der Stadt: Wittamer, berühmt auch für exquisite Törtchen, und Marcolini, der sich einen Weltmeister der Patisserie nennen darf. Seine Spezialität: kleine schwarze Bitterpralinen mit 75 Prozent Kakaoanteil und so originelle Füllungen wie Veilchen, Passionsfrucht und grüner Tee. Wem Neuhaus-Pralinen zu groß und zu süß erscheinen, der hat hier seine Adresse. Außer mit Fisch hat man in Brüssel schon mit fast jeder Füllung experimentiert. Spezialisierung ist angesagt in Europas Schoko-Metropole, wenn immer mehr kleine Confiseure vor der Konkurrenz der großen drei verzagen.

Die besten Adressen: Neuhaus, Galerie du Reine 25–27, 1000 Bruxelles (www.neuhaus.be) Musée de Cacao et Chocolat, Grand Place 12, 1000 Bruxelles Duval, Rue de Chardons, 1030 Bruxelles Schokoladenführungen u. a. bei Duval: Jan Peter Diemar, Tel: +32 22 45 53 96 Manon, Rue Tilmont 64, 1090 Bruxelles Marcolini, Place du Grand Sablon 39, 1000 Bruxelles Infos im Internet: www.brussels-online.be, www.bruxelles.irisnet.be