Die Tuba macht den Pogo jung

Der Bucovina Club erfreute mit Blasmusik vom Balkan und ließ die Leute im Apollo-Saal der Staatsoper springen

So trennt man sich dann nach dem gemeinsamen Essen. „Für die nächste Zeit haben wir genug Gypsie Music gehört“, lautet die Begründung. Sie gehen heute Nacht lieber ins schickere Rio als in die Staatsoper. Ist eher etwas für den Hipster aus Mitte, meinen sie. Wenn sie sich da nicht mal getäuscht haben: Beim Bucovina Club, dem Musiktreff des Frankfurters Stefan Hantel, geht es nicht um abgeschabten Multikulti, wie man ihn aus Kreuzberg gewohnt ist, hier geht es darum, sich adäquat in den Rausch versetzen zu lassen. Seit fast einem Jahr tourt Hantel nun schon sehr erfolgreich durch ganz Europa, ist immer gut gebucht, die Medien schenken seinen behutsamen Mixen folkloristischer Musiken Südosteuropas zunehmend Aufmerksamkeit. Das hat hörbar sein Ego gefüttert.

Legt er heute ein Lied von der „Bucovina Club“-Platte auf, dann singt Hantel über Mikrofon mit. Beim Hit „Espinita“ von Paci Barovero greift er gar zum Großraum-Disse-Trick: Das traurige Intro lässt er nicht aus, er spielt es aus, gut laut. Bevor aber der Teil zum Mitsingen einsetzt, gehen Sound und Lichter aus. Die Spannung klettert ins Unermessliche, die Leute werden unruhig, pfeifen, singen, starren, und dann endlich: „Es…pinita… Es…pinita, voi voi, voi voi!“ Der Chor ist laut, die Tuba gewinnt an Geschwindigkeit, der Beat rast.

Der Hummba-hummba-Faktor als Konsensstifter ist einem wohl spätestens seit Punk vertraut. Doch während dort der schnelle Wumms nur noch unangenehm an den Stadionrock der Toten Hosen denken lässt, speckt ihn der Bucovina Club wieder auf den entscheidenden Kick ab. Und dieser führt definitiv in die Besinnungslosigkeit. Wenn der Offbeat des Schlagzeugs so schnell gespielt wird, dass er als gerader Schlag erscheint. Wenn die Tuba als Bass den Gesamtsound prägt. Dann geht der Pogo los. Die Bewegung des Abends heißt Springen.

Rotwein ist das Getränk der Stunde, der massive Holzboden des minimal-pompösen Apollo-Saals bietet eine Hemmschwelle gegen liebloses Abaschen. Und trotzdem wirken sie nicht kulturbeflissen, die enthemmten Biostudenten in dunklen Hemden und die gut aufgelegten Funktionärinnen in Kostüm und mit Pferdeschwanz. Hier ist heute mehr Spaß als im Rio.

Draußen ist es noch erstaunlich warm. Die alte Platane vorm Opernpalais streckt ihre Äste weit aus über ein Meer aus Osterglocken. Sie ist eine „Kreuzung aus Pl. Orientalis und Pl. Occidentalis“, weiß das Schild des Denkmalschutzes.

CHRISTOPH BRAUN