MEČIARS WAHLSIEG ZEIGT: DIE SLOWAKEN SUCHEN EINEN STARKEN MANN: Altbewährtes Charisma
Vor zwei Tagen wäre das Szenario noch müde belächelt worden. Jetzt, nach dem überraschenden Erfolg Vladimír Mečiars in der ersten Runde der slowakischen Präsidentschaftswahlen, ist es wahrscheinlich geworden: Am 1. Mai wird der bullige Nationalist „seine“ Slowakei als Präsident in die Europäische Union führen.
Welch Ironie: Im Zeitraum zwischen Nato und EU-Beitritt der Slowakei wählen deren Bürger ausgerechnet den Mann zum Staatsoberhaupt, der während seiner Zeit als Regierungschef alles ihm Mögliche getan hat, um das Land aus genau diesen beiden Institutionen rauszuhalten. Sicher, noch ist nicht alles entschieden: Immerhin könnten sich die slowakischen Wähler in der zweiten Runde am 17. April gegen Mečiar und damit gezwungenermaßen für dessen Gegenkandidaten Ivan Gasparović entscheiden. Ein nicht unbedingt beträchtlich kleineres Übel. Denn Gasparović, einst die rechte Hand Mečiars, hat seine politischen Sporen in der Clique um den damaligen Premierminister verdient. So bleibt den Slowaken nur die Wahl zwischen dem Symbol einer Zeit der politischen Isolation und eines autokratischen Führungsstils oder dessen erstem Mitläufer.
Die größeren Chancen werden jedenfalls jetzt schon Mečiar zugerechnet. Der hat im Unterschied zu Gasparović nämlich wenigstens das Charisma eines professionellen Populisten und genießt, vor allem in den ländlichen Gegenden der Slowakei, den Ruf eines politischen Übervaters. Und Gasparović, mit all seinem politischen Ballast, wird die Anti-Mečiar-Front kaum zu seinen Gunsten mobilisieren können.
Bleibt die Frage, warum die Slowaken, knapp sechs Jahre nachdem sie ihn in Parlamentswahlen ins politische Abseits bugsiert haben, nicht einfach endlich von ihrem Mečiar lassen können. Die Antwort ist das Vakuum, das er selbst hinterlassen hat. In den sechs Jahren seit Mečiars tränenreichem Abgang aus der hohen Politik hat sich nicht eine einzige charismatische Persönlichkeit gefunden, wie sie die Slowaken schätzen. Niemand, der sie am demokratischen Händchen halten und ihnen helfen könnte, politisch erwachsen zu werden. Dann eben lieber Altbewährtes.
Die Regierung hat Mečiar unterschätzt, glaubte seit Jahren, er spiele seine Rolle nur noch in der slowakischen Folklore, nicht aber in der Politik. Wenn Mečiar heute beteuert, er habe sich geändert, will es ihm der Wähler glauben. Mečiars Erfolg ist ein Protest gegen die grauen Männer an der Macht und ein Ausdruck der Sehnsucht nach dem starken Mann. ULRIKE BRAUN
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