der andere blick auf den kirchentag (3)
: Eine atheistische Perspektive von THOMAS EBERMANN

Mit Speck fängt man Lämmer

Wer oder was den Menschen so lenkt; wem man Opfer bringt im Tausch für Sinn; wessen Strafe man fürchtet und Belohnung erhofft – das alles ist ziemlich umkämpft.

Seit die Religion der Nation den ersten Platz überlassen musste, also die Selbstaufgabe für Vaterland und Standort Priorität gewann und der religiöse Apparat für die Anerkennung seiner Unterordnung die Stellung einer Amtskirche erhielt, sind neue Konkurrenten erwachsen: „Wir wollen nicht klüger sein als der Markt“, verkündet zum Beispiel Tony Blair, und der Markt hat ja, im Glauben seiner Diener, manch göttliche Macht. Man bedenke nur, wie er straft, wenn gegen seine Gesetze verstoßen wird, oder wie unergründlich seine Wege sind, was man am DAX sieht.

Der Übergang von den Jüngern des Marktes, deren Propheten die Motivationstrainer sind, zur Welt der Esoterik und spezielle Sinnsuche befriedigenden Sekten ist fließend. Der Geländegewinn dieser Szene liegt darin begründet, dass der Sozialdarwinismus dort zeitgemäßer spiritualisiert wird, also auf das christliche Geflenne rund ums Mitleid, welches doch nur für schlechtes Gewissen und Skrupel sorgt, verzichtet. Zur Bekämpfung dieser Konkurrenz haben die Amtskirchen einen neuen Berufsstand kreiert: die Sektenbeauftragten. Diese müssen nachweisen, dass der falsche Okkultismus, der falsche Glaube, die falsche Pflege psychischer Abhängigkeit, der falsche Moralkodex und die falsche Geheimbündelei zum Zwecke des ökonomischen Nutzens der Gurus das Geschäft der Konkurrenz ist.

Insbesondere an Kindern, die so zarte Seelen, so glockenklare Stimmen, so zerbrechliche Körper haben, darf sich kein ungeschulter Dilettant, sondern nur ausgebildetes und geprüftes Personal vergreifen, mahnt speziell die katholische Geistlichkeit.

Da der Kampf für richtigen Okkultismus und richtigen Glauben, für den mancher Sektenbeauftragte die Justiz gewinnt, nicht sehr erfolgreich ist; weil also die Gemeinde schrumpft, hat man sich auf das Feld der gegnerischen Marktsegmente begeben. Eine richtige Werbeagentur wirbt mit richtig modernen Plakaten für einen richtig modernden Kirchentag.

Die Anstrengungen, die Kirchen mögen nicht nur nach Bus- und Bahnunglücken, Flutkatastrophen und Selbstmorden von Kanzlergattinnen gefüllt sein, sondern auch sonntags, treiben zur Kreativität. Ein Pfaffe gibt sich als Hirte der Motorradfahrer, ein anderer sang – vor laufender Kamera – mit der Gemeinde im vergangenen Sommer: „Es gibt nur ein’ Rudi Völler.“ Sogar ein Gottesdienst, bei dem man die Haustiere mitbringen soll, wird in Hamburg begangen. Dass man auf dem Kirchentag „Oh happy day“ mindestens als Rock, Reggae, Techno, Rap und Pop hören kann, erscheint mir so sicher, wie es früher mal unumgänglich war, auf Demonstrationen gegen Atomkraft, wo sonst niemand seine Berufskleidung trug, Pastoren im Talar zu erblicken. Obwohl ich Institutionen und gesellschaftlichen Verhältnissen, von denen ich nichts halte, eigentlich keine Verbesserungsvorschläge unterbreite, sei hier eine Ausnahme gemacht: Ich wünsche der Strömung der Christenheit den Sieg, die für ein Maximum an Weltabgewandtheit ficht. Schon weil uns dann wenigstens die Stellungnahmen der Bischofskonferenzen gegen den letzten Krieg – verfasst, weil er kein Deutscher war – erspart geblieben wären.

PS: Woran soll man noch glauben, wenn man Feuerbach gelesen hat? Ich glaube, dass Valeska von Roques, die das Buch „Mord im Vatikan“ geschrieben hat, überzeugend nachweist, dass nicht Cédric Tornay, der Schweizergardist, Alois Estermann, auch Schweizergardist, und dessen Gattin Gladys erschossen hat, sondern alle drei Opfer eines Täters sind, dessen Identität der Papst preiszugeben verbot. Aber ist so ein kleines Rinnsal, gemessen an der Blutspur, die die Christen durch die letzten 2.000 Jahre zogen, wirklich interessant?

Thomas Ebermann ist Publizist und lebt in Hamburg. Er war in den 80er-Jahren bei den Grünen der Kopf der Anti-Realos