Jenseits der Schmerzgrenze

Nach dem knappen Sieg über Braunschweig in der Halbfinalserie bleibt Titelverteidiger Alba Berlin kaum Zeit, Kräfte für die Endspiele um die Basketballmeisterschaft gegen Bamberg zu sammeln

aus Berlin MATTI LIESKE

„1000 THX 4 A GREAT SEASON. CU 2003/04“. Die nach Berlin gereisten Fans des Basketballteams von TXU Braunschweig hatten offensichtlich schon geahnt, was auf sie und ihre Mannschaft zukommen würde und vorsorglich das passende Transparent mitgebracht. Eine großartige Saison war es in der Tat, welche die Niedersachsen – in den Jahren zuvor erst fast pleite, dann fast abgestiegen – hingelegt hatten, auch wenn sie das fünfte und letzte Halbfinalspiel bei Alba Berlin mit 71:77 verloren. Immerhin hatten sie dem Titelverteidiger bei seinem Anlauf zur siebten Meisterschaft in Folge die wohl härteste Serie seiner jüngeren Geschichte geliefert.

Nachdem Braunschweig vergangenen Sonntag Spiel drei in Berlin gewonnen, dann aber die Riesenchance, den Finaleinzug in eigener Halle perfekt zu machen, verpasst hatte, sprach am Donnerstag eigentlich alles für Alba. Zumal die sonst eher lässig-coolen Berliner Fans den Ernst der Lage erkannt hatten und in der mit 9.000 Besuchern brechend vollen Max-Schmeling-Halle mit wahrhaft ohrenquälerischem Lärm ihrem Team den Rücken stärkten. Außerdem mussten die Braunschweiger auf ihren wichtigsten Mann, den bosnischen Spielgestalter Gordan Firic, wegen Verletzung verzichten, was bei ihrem feinen, aber kleinen Kader mehr ins Gewicht fiel als die Absenzen der Nationalspieler Rödl und Lütcke bei Alba. Ohne Firic fehlte TXU die Klarheit im Spielaufbau, die wie immer beinharte Defense der Berliner tat ein Übriges. Zwar kamen die unbändig kämpfenden Braunschweiger am Ende noch einmal heran, doch ein Dreier des von einem Handgelenkbruch notdürftig genesenen Marko Pesic beendete alle Hoffnungen. „Ich wünsche Berlin und Bamberg viel Glück im Finale“, sagte ein enttäuschter TXU-Coach Ken Scalabroni später, „aber wir sind im Urlaub.“

Viel war auch in dieser Saison davon die Rede gewesen, dass die Zeit für eine Beendigung der Alba-Dominanz endlich reif sei. Niemand hätte allerdings gedacht, dass ausgerechnet Braunschweig und Bamberg die großen Herausforderer sein würden – so, als wären es in der NBA plötzlich die Memphis Grizzlies und Atlanta Hawks welche die großen Favoriten reihenweise in die Ferien schicken. Eigentlich waren Köln und Bonn, die immerhin sämtliche Vorrundenspiele gegen einen unsouveränen Champion gewonnen hatten, als Umstürzler vorgesehen. Beide gingen jedoch gegen Bamberg mit 1:3 unter. Eine klare Warnung an die Berliner, die spannende und hochintensive Serie gegen Braunschweig, deren Gewinn sie ausgelassen und euphorisch wie eine Meisterschaft feierten, nicht tatsächlich schon als vorweg genommenes Finale zu betrachten. Zumindest Coach Emir Mutapcic ist klar, was für ein dicker Brocken in Gestalt der ausgeruhteren Bamberger auf Alba zurollt. Er habe seinen Spielern vorsorglich gesagt, dass sie nach dem Kräfteverlust im Halbfinale nun „über die Schmerzgrenze“ gehen müssten.

Anders, als in der Fußball-Bundesliga, wo das Auftauchen von Außenseitern in den vorderen Tabellenregionen eher ein Zeichen allgemeinen Schwächelns darstellt, ist der Aufstand der Kleinen, zu denen auch Viertelfinalist Oldenburg gehört, im Basketball ein Indiz gestiegener Qualität. Zwar hat Alba Berlin nach wie vor die meisten Nationalspieler, doch der Rest hat aufgeholt, die Überlegenheit ist dahin. Wenn es früher gelang, die vorhandene größere Klasse auf dem Platz auch umzusetzen, hatte kein Gegner auf nationaler Ebene eine Chance. Jetzt steht die Kunst im Vordergrund, sich gegen gleichwertige Teams durchzubeißen und Wege zu finden, in umkämpften Partien am Ende als Sieger vom Feld zu gehen. Eine Fertigkeit, die Alba immer noch in hohem Maße besitzt, auch dank der Mitwirkung in der Europaliga, die nach dem Finaleinzug für die nächste Saison gesichert ist.

Zunächst einmal geht es jedoch ab Sonntag gegen die Bamberger, die genau zum richtigen Zeitpunkt zu ihrer Hochform aufgelaufen sind und deren Spiel, ähnlich wie das von Alba, vor allem auf starker Defense basiert. Trainiert werden die Franken im Übrigen von einem Coach, der bestens weiß, wie man Deutscher Meister wird: Dirk Bauermann, der mit Bayer Leverkusen den hiesigen Basketball beherrschte, bevor Alba das Zepter übernahm. Die Berliner eigenhändig wieder vom Thron zu schubsen, wäre ihm ganz gewiss ein besonderer Hochgenuss.