Politik im Supermarkt

Ist die Zeit des Massenkonsums vorbei? Kann man politisch korrekt konsumieren? Oder ist das bloß eine neue Spielart innerhalb der Warengesellschaft? Konsum ist wieder Thema

VON HELMUT HOEGE

Mit der Ökologiebewegung hat sich die Politik von der Produktions- auf die Konsumptionssphäre verlagert. Da Gesellschaft sich über den Tausch herstellt, ist der Konsum die Ultima Ratio – auch und erst recht in Krisenzeiten. Es kommt jetzt darauf an, gerechter, besser und klüger zu „shoppen“ – aufgeklärter!

Das führt zu einer „Moralisierung der Märkte,“ wie der Kulturwissenschaftler Nico Stehr meint. Die beiden taz-Redakteure Stefan Kuzmany und Peter Unfried schrieben 2007/08 Bücher über ihre Probleme beim ökologisch-bewussten Konsum, wobei sie die Waren bis zu ihrer Herstellung (zurück)verfolgten. Sie folgten einem „Ökotrend“, den sie damit gleichzeitig verstärkten. Die „Trendforscher“ Holm Friebe und Thomas Ramge setzten dagegen am anderen Ende an. In ihrem Buch „Marke Eigenbau“ behaupten sie, 1. was auch schon Karl Marx konstatierte: dass die Warenzirkulation in Amerika entwickelter ist als hierzulande; 2. dass individuell hergestellte Produkte über „E-Commerce“-Plattformen nun einen „globalen Marktplatz“ haben; und 3. dass diese „private Label“ schon bald der fordistischen Massenware ein Ende bereiten könnten. Sie erfreuen sich immer größerer Beliebtheit und steigender Umsätze, nicht zuletzt, weil die Hersteller mit ihren Waren im Internet auftreten, d. h. sich zusammen mit ihnen „authentisch“ vermarkten.

Die israelische Soziologin Eva Illouz sieht dabei eine neue Dialektik im Spiel: Kunst und Waren haben sich gegenseitig derart beeinflusst, dass die Dinge nun ebenfalls mit einer „romantischen Aura“ ausgestattet sind, was zugleich mit einer Verdinglichung der „romantischen Liebe“ einhergehe. Unterm Strich habe die Warenwelt (Kino, Restaurant etc.) unsere Liebesbeziehungen jedoch bereichert, meint die Autorin.

Holm Friebe hatte in seinem ersten Buch „Wir nennen es Arbeit“ – über postmoderne Projektemacher – bereits den kreativen „Privatarbeiter“ als harten Kern einer „digitalen Boheme“ ausgemacht. Diese brachte er dann gegen die dahinschmelzenden Heerscharen der Festangestellten in Anschlag.

Mit der Durchsetzung des kapitalistischen Wertgesetzes wird aber jede produktive Tätigkeit zu „abstrakter Arbeit“ und alle zu „Privatarbeitern“, weil der Wert ihrer Dinge erst auf dem Markt realisiert wird – gleichgültig gegenüber Form, Menge und Inhalt. Das ist auch der Grund für das Elend jeder „Ökostrategie“, die auf die Verbesserung der Qualität von Waren drängt – zum Beispiel den Bau von „Dreiliter-Autos“.

Bei Unfried begann mit dem Kauf eines solchen Pkws das, was er mit dem Hamburger Trendforscher Matthias Horx „Loha-Leben“ nennt: ein „Lifestyle of Health and Sustainability“, den eine US-Futurologin bereits 2006 als „Megatrend“ erkannte und woraufhin der Suhrkamp-Lektor Heinrich Geiselberger sogleich mit dem Reader „Und jetzt?“ ins Detail ging. Der Soziologe Ulrich Beck sprach darin von einer „Politik im Supermarkt“ und gab der „neuen medial sich inszenierenden Konsumentenmacht“ sein optimistisches Soziologenwort. Etwas kritischer argumentierten 22 Wissenschaftler in dem nun erschienenen Reader „Konsumguerilla“.

Auch sie reden von einem „Widerstand gegen die Massenkultur“ – jedoch mit einem Fragezeichen. „Der Band befasst sich mit unterschiedlichen Ebenen des Konsums sowie damit verbundenen, (sub)kulturell überformten Konsumpraktiken und -stilen“, schreiben die Herausgeber. Sie stellen fest, dass „Schnäppchenjäger“ sich zu „Smart Shoppern“ wandeln, während der „souveräne Konsum zur elementaren Bürgerpflicht“ avanciert. Quer dazu verhält sich die „Konsumguerilla“. In dem Maße, wie der Konsum zu einer „Kunst“ und die „EndverbraucherInnen“ zu wahren „Lebenskünstlern“ werden, geraten auch umgekehrt die Ware und die Marke sowie der Lebensraum „Mall“ ins Blickfeld der Künstler.

Dazu interviewten die Herausgeber unter anderem den Poptheoretiker Diedrich Diederichsen. Er versteht unter „Konsumguerilla“, dass die Bedeutung von Produkten subversiv angegangen wird (das Hijacken von Logos und Zeichen): eine Idee, „an die aber heute keiner mehr recht glaubt“, weil „die Stabilität der Verhältnisse nicht so direkt von bestimmten Bedeutungskulturen abhängig ist. Mit solchen Praktiken ist man mittlerweile auf der Marktseite gelandet.“ Waren, so Diederichsen, geben ein Versprechen, das sie selbstverständlich nicht halten. Und hier gelte es anzusetzen: „Das Versprechen der Waren mobilisieren. Jedoch nicht auf deren Feld. Ich denke eigentlich, dass man dem Prinzip der Ware nicht mit alternativen Waren entgegentreten kann. Man muss auf der Ebene des Prinzips oder eben gegen es agieren.“ Die human oder fairer hergestellte oder fairer gehandelte Ware sei nicht die Lösung des Problems.

Birgit Richard, Alexander Ruhl (Hg.): „Konsumguerilla – Widerstand gegen Massenkultur?“. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008, 299 Seiten, 24,90 Euro Holm Friebe, Thomas Ramge: „Marke Eigenbau. Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008, 288 Seiten, 19,90 Euro Heinrich Hermann Geiselberger (Hg.): „Und jetzt? Politik, Protest und Propaganda“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 364 Seiten 12 Euro Eva Illouz: „Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche der Romantik“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 343 Seiten, 12 Euro Stefan Kuzmany: „Gute Marken, böse Marken. Konsumieren lernen, aber richtig!“. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007, 187 Seiten, 8 Euro Nico Stehr: „Die Moralisierung der Märkte. Eine Gesellschaftstheorie“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 379 Seiten, 14 Euro Peter Unfried: „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“. Dumont Verlag, Köln 2008, 240 Seiten, 14,90 Euro