berliner szenen Kirchentag (III)

Dann lieber taufen

Nichts gegen die Kirchen und ihre Gläubigen – meine besten Freunde sind Christen und sämtliche meiner Ahnen seit den Zeiten des heiligen Bonifatius sowieso. Ich liebe den Weihrauch und schätze protestantische Ethik, aber die Moderne schreitet voran: An meiner Wiege stand die Säkularisierung statt Pastor und Paten, und so blieb ich konfessionsloser Ungläubiger.

Doch so einfach entkommt man den Ekklesien nicht, noch sind sie mächtig, und statt Missionaren schicken sie ihren Büttel: das Finanzamt. „Feststellung der Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft.“ Bisher hatte der Strich auf der Lohnsteuerkarte genügt, aber nun: Ausfüllen und „urschriftlich zurück“ unter Verweis auf Grundgesetz, Weimarer Reichsverfassung und kaiserliche Abgabenordnung. Ich rieche bereits die Scheiterhaufen der Inquisition, aber noch regt sich mein liberaler Widersinn. „Die Kirchensteuerstelle, bitte.“ Eine Frau am Apparat: „Ja, wir schreiben alle an, bei denen keine Kirchenzugehörigkeit vermerkt ist. Es kann ja sein, dass die Angaben beim Umzug nach Berlin nicht mitgeliefert wurden.“ Jagd auf Schwarzglaubende also. „Fragen Sie denn bei jedem Yilmaz, Öztürk und Rubinstein nach?“ – „Natürlich suchen wir uns die Namen raus, die christlich klingen: Müller, Meier …“ Wie pleite müssen unsere Kirchen sein! Aber ist das mein Problem? „Soll ich demnächst auch nachweisen, dass ich nicht in der Partei oder im ADAC bin?“ Vorbei der freundliche Ton: „Der Bürger ist zur Mitwirkung verpflichtet“, beschied sie mich schroff, „wenn Sie weiter rumzicken, notiere ich Sie bei den Zeugen Jehovas.“ Ein Leben in Fußgängerzonen? Dann lieber Kirchentag: Ich lasse mich taufen – natürlich ökumenisch.

CARSTEN WÜRMANN