Ein Schuss ins Gesicht

Das Falsche ist immer Teil eines größeren Falschen: Gleich zwei Berliner Ausstellungen zeigen Werke der iranischen Künstlerin Mitra Tabrizian, die das Grauen über eine klinisch saubere, perfekt simulierte „Brave New World“ hereinbrechen lässt

VON KATHARINA TEUTSCH

„Reality is at its height“, sagt Mitra Tabrizian. Ein Bekenntnis zur Wirklichkeit, mit dem man nicht gerechnet hätte, ist doch das Thema ihrer Kunst die aseptische Welt der Klone.

Auf großformatigen Hochglanzfotografien inszeniert sie androide Wesen im makellosen Design der Zukunft: Anzug tragende Väter, jugendliche Mütter und perfekt gescheitelte Buben am Küchentisch oder an den Orten der so genannten „neuen Arbeitswelt“. Glatt und ausdruckslos. Doch dann wird die Szene durch ein irritierendes Ereignis aus ihrer Sterilität gerissen. In einem Bild der Serie „Beyond the Limits“ schießt sich ein Familienvater lächelnd in den Kopf. Die Frau in der linken Bildhälfte lässt zeitgleich scheinbar unberührt von der nebenstehenden Szene einen Säugling fallen.

In Tabrizians Montagen vermischen sich Fiktion und Realität zu einem beunruhigenden Bild sozialer Kälte. Die Künstlerin arbeitet sich an den Phänomenen der globalen Wirtschaft, der neoliberalen Warenlogik und der postmodernen Bindungslosigkeit ab. Doch ihre Fotografien bleiben dabei nie rein repräsentativ. In ihrer paradoxen Funktionsweise führen sie Prozesse der Entfremdung vor. Ist das Leben tatsächlich nur eine Strategie der totalen Simulation? Die Menschen darin gefühlsunbegabte Cyborgs?

Mitra Tabrizians Arrangements sind von alarmierender Perfektion. Durch ihr jeweils störendes Moment bekommen sie eine surreale Schieflage, die zum Nachdenken anregt. Die Szenen aus „Beyond the Limits“ sind deshalb so schockierend, weil sie so unendlich distanziert erscheinen. „Something has gone wrong“, kommentiert die Künstlerin die Tatsache, dass in ihren Montagen etwas nicht stimmt. Und sie ergänzt „or something has gone to right“. Mit dem französischen Philosophen Jean Baudrillard teilt sie die Ansicht, dass unsere hoch funktionalisierte Gesellschaft auf einen Punkt zusteuert, an dem sich alle grundlegenden Axiome des modernen Lebens wie etwa die zunehmende Rationalisierung des Alltags in ihrer hemmungslosen Überspitzung gegen sich selbst wenden. In diesem Sinne sind ihre Bilder also selbst schon die Resultate einer maximalen Simulation, in der Gefühle keinen Platz mehr haben.

Mitra Tabrizian wurde 1956 in Teheran geboren. Heute lebt, arbeitet und lehrt die promovierte Filmwissenschaftlerin in London. In ihrer Arbeit verknüpft sie die Techniken von Dokumentarfotografie, Reportage und Werbung und macht damit auf die Ideologien aufmerksam, die der Konstruktion kultureller und sexueller Identitäten zugrunde liegen.

Zurzeit ist sie mit ihren Arbeiten gleich zweifach in Berlin zu sehen. Das Künstlerhaus Bethanien beherbergt mit „Jenseits der Grenzen“ ihre erste deutsche, vom Essener Folkwang Museum entliehene Einzelausstellung. Mit einem großartigen Panoramaprint aus dem Jahr 1989 ist Tabrizian zudem in der Iran-Ausstellung „Entfernte Nähe“ vertreten. Der meterlange Plakatabzug vor dem Haus der Kulturen der Welt trägt den Titel „Surveillance“ und ist ein in drei Momente der iranischen Politik geteiltes Historienbild. Vorne ist eine Bühne zu sehen, auf der sich die politischen Akteure der Kulturrevolution die Hände schütteln. Im Hintergrund demonstriert das iranische Volk und bleibt doch unerhört. Tabrizian reproduziert auf verschiedenen Ebenen die Brüche der iranischen Geschichte, hinterfragt das Verhältnis von Kolonisatoren und Kolonisierten und fusioniert die verschiedenen Aspekte der Vergangenheit zu einem explosiven Konglomerat aus Geschichte und Identität.

Das narrative und fiktionale Prinzip ist eine Konstante in Tabrizians Arbeit. In dem ebenfalls im Bethanien gezeigten Großformat „Minimal Utopia“ konstruiert sie eine „global city“, die Sciencefiction-hafte Züge trägt. Auf einer Hauswand werben phosphoreszierende Buchstaben für das „Museum of Natural Food“. Ein Mann im Vordergrund verliert seine Hand. Aus den Schnittstellen hängen silberne Drähte. Alles ist Pastiche, auf Hochglanz gebracht und zur uneingeschränkten Ware geworden.

Mitra Tabrizians alarmistische Kunst lebt vom theoretischen Unterfutter der Kulturtheorie. Schließlich ist die Fotokünstlerin auch Professorin. Im Zeichen von „Race & Gender“ konstruiert und dekonstruiert sie ihre Protagonisten als gesellschaftliche Folien. Das 2003 entstandene „End Zone“ zeigt in der Ästhetik von Filmstils, wie vier Gangster, schwarz und Anzug tragend, zur ungenannten Tat schreiten. Im Hintergrund erstreckt sich die unendliche Tristesse der Vorstädte. Tabrizian bezieht sich in dieser Arbeit auf die exzessive, aber kalte Gewaltdarstellung in Takeshi-Kitano-Filmen, die sie als Statement zu einer abstumpfenden Gesellschaft versteht. Und trotzdem zeigt sie nie das Falsche in einem vermeintlich Richtigen, sondern immer nur das Falsche als Teil eines größeren Falschen. Dass es dabei nicht ganz ironiefrei zugeht, beweist ein weiteres Bild der Serie „Beyond the Limits“. Gezeigt wird ein Sektempfang in einer Galerie. Wie so oft steht auch hier das Networking im Vordergrund. Das Einzige, was nicht zu sehen ist, ist die Kunst.

„Jenseits der Grenzen“, bis 11. 4., Bethanien, Mariannenplatz 2, Kreuzberg. „Entfernte Nähe“, bis 9. 5., Haus der Kulturen, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten