Das tägliche Kriminaltheater

In Berlin sind Tag für Tag Zollteams unterwegs, die Schwarzarbeiter auf Baustellen oder in Kneipen aufspüren sollen. Die Fahnder kämpfen dabei gegen absurde Geschichten – und den eigenen Frust

von CHRISTIAN FISCHER

Ihre Bewegungen sind lässig. Unnatürlich lässig. Sie hatte behauptet, täglich zehn Stunden in der kleinen Kneipe im Norden Berlins zu bedienen. Zehn Stunden, sieben Tage in der Woche, ohne Bezahlung. Eine unglaubwürdige Geschichte. Der einzige Gast, der am Tresen sitzt, blättert in seiner Zeitung, tut so, als würde ihn das alles, die fünf Kontrolleure, die plötzlich dastehen, nicht interessieren.

Dabei hat das Ganze etwas von einem Theaterstück, einer kleinen Kriminalgeschichte: Zu Beginn waren da die beiden Gäste, noch nie zuvor gesehene. Betraten den verrauchten Raum und fragten nach der Karte, hier, wo es eigentlich nur Bier und Buletten gibt. Geschlagene sieben Minuten starrten sie dann verlegen auf das in Plastik eingeschweißte Stück Papier.

Plötzlich ging die Tür wieder auf. Drei weitere Männer traten ein. Die anderen beiden waren nur die Vorhut. Wollten sehen, wer hier arbeitet, damit sich später keiner als Gast ausgeben kann. Sie alle stellten sich als Zollfahnder vor, „wir führen eine Kontrolle zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung durch“. Sofort wurde die Kellnerin ausgefragt: „Wie oft arbeiten sie hier? Arbeiten außer Ihnen noch andere Personen hier?“

Die Antwort: 70 Stunden in der Woche, seit sieben Jahren, angestellt „als Familienmitglied“. Die Fahnder hatten einen anonymen Tipp erhalten. Angeblich arbeite in der kleinen Nachbarschaftskneipe eine nicht angemeldete Aushilfe. Die Kellnerin verteidigt sich: Hier arbeite immer nur sie. Und wenn sie mal krank werde? Wird sie nicht. Keinen Urlaub? Nie.

Zöllner Michael Ogorek schaut etwas fassungslos. Sein Kollege Gerald Lange führt die Befragung und protokolliert widerstrebend die Aussage. Während Ogorek die Befragung übernimmt, sieht sich Lange in der Gaststätte um. Direkt neben der Theke hängt ein großer Kalender. Einer, bei dem man mit einem Schiebequadrat die Tage markieren kann. „Was sind denn das für Kürzel neben den Tagen?“

Lange hält immer zuerst nach Dienstplänen Ausschau. Im Idealfall findet er volle Namen, Arbeitszeiten und sogar Telefonnummern. Die Kellnerin gerät in Erklärungsnot: „Ich, also, das sind Geburtstage.“ – „Sie kennen fünf Menschen, die mit demselben Vornamen beginnen?“ – „Nein, ja, also …“ Sie gibt zu, eine Aushilfe beschäftigt zu haben, aber von der habe sie sich „ganz schnell wieder trennen müssen“. Zu dem Zeitpunkt sei sie eigentlich schon längst entlassen gewesen. Doch da ihr Sohn Geburtstag und zwei Tage später Hochzeit feierte, musste die Angestellte doch noch mal ran. Die anderen eingetragenen Tage auf dem Kalender? Sie wendet sich an den Gast: „Da war ich doch hier, oder?“ Er will helfen: „Ja, ja, natürlich. Da warst du hier.“

Nach einer knappen halben Stunde gehen Michael Ogorek, Gerald Lange und ihre Kollegen wieder. 20 eingestandene Aushilfestunden gehen nicht mehr als geringfügige Beschäftigung durch, hätten also angemeldet werden müssen. Ogorek spricht von einem „kleinen Erfolg“ – doch so recht will man ihm die Freude nicht abnehmen. Wenn die Kellnerin, die gerade nach Ausflüchten suchte, sich geschickt anstellt und die Aushilfe im Nachhinein korrekt anmeldet, kann sie sogar ganz dem Bußgeld entgehen.

Das Team besteht heute aus acht Fahndern, fünf vom Zoll, drei vom LKA. Ein paar Kollegen waren gleich mal nebenan in der kleinen Pizzabude. Alles in Ordnung, melden sie, auch wenn es merkwürdig erscheint, dass der angeblich nur zwei Stunden pro Tag arbeitende Kellner immerfort von „Stammkunden“ redet.

Weiter zu observieren ist schwierig für zweieinhalb Teams, die in ganz Berlin Schwarzarbeit in der Gastronomie bekämpfen sollen. Gegen Schwarzarbeit in Kneipen und Restaurants gehen zwei Hauptteams vor. Ein drittes muss sich zur Hälfte noch um Betriebe wie Reinigungen, Werkstätten und Internetcafés kümmern. Für Berlins Baustellen sind gerade mal acht Teams zuständig. Dabei genießt der Kampf gegen Schwarzarbeit gerade politische Priorität: Bundesweit sollen bald 2.000 neue Fahnder eingestellt werden. Wann genau, das ist unklar.

Seit Januar wurden in Berlin die Behörden zusammengelegt: Alle Mitarbeiter der dreizehn in Berlin stationierten Teams sind ehemalige Angestellte des Arbeitsamtes. Anfang des Jahres mussten sie dann zum Zoll wechseln. Die Zöllner haben jetzt Kontrollhoheit, wo sie sich früher mit Kollegen von Arbeitsamt und Polizei ins Gehege kamen.

Michael Ogorek sieht müde aus. Seine Kladde trägt er immer unter dem Arm. Als würden die Papiere beweisen, dass es etwas bringt. Das ständige Herausfahren. Auf die Frage, ob seine Arbeit an der richtigen Stelle ansetze, wirklich die Schwarzarbeit bekämpfe und nicht nur deren Symptome, antwortet er nicht. „Das dürfen Sie mich nicht fragen“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Heute sind drei Kollegen vom Landeskriminalamt mit dabei. Eine Übergangslösung: Die Zöllner haben noch keine Zusatzausbildung zum Führen einer Dienstwaffe gemacht.

Also weiter. Zu den beiden VW-Bussen, die versteckt in einer Seitenstraße geparkt sind. 70 bis 80 Kilometer legen sie bei einer etwa sechsstündigen Tour zurück. Fünf bis zehn Gaststätten suchen sie so auf, entweder hinweisbezogen oder initiativ, wie sie es nennen. Die Pizzabude, das war so eine Initiativkontrolle.

„Wir werden etwas finden“, sagt Michael Ogorek. Wie er das allerdings selbst finde, dieses ständige Finden, das sei eine ganz andere Frage. Manche Fälle sind irgendwo zwischen Irrwitz und Frust zu verorten. Belustigt erzählt Kollege Lange, dass bei vier Überprüfungen einer Imbissstube viermal derselbe Schwarzarbeiter angetroffen worden sei. Ogorek lacht mit.

Die Arbeit ist eine reine Folgenbekämpfung, dennoch geht Ogorek jedem Hinweis nach, auch wenn er mal nicht so viel versprechend klingt. „Präsenz zeigen“, nennt er das.

Nächster Halt: Ein unscheinbares italienisches Restaurant in Tiergarten. Der Hinweis kam anonym, in gebrochenem Deutsch. Fünf Illegale seien hier beschäftigt. Mindestens. Oft sogar mehr, „wenn Tanz ist“. Das geballte Auftreten des Teams zieht einige Aufmerksamkeit auf sich, alle Gäste verdrehen die Köpfe.

Doch dieses Stück soll ein langweiliges werden: Die Angestellten machen keine Anstalten zu fliehen. Einige zücken ungefragt die gültigen Arbeitspapiere. Was folgt, ist ein langwieriges Aufnehmen aller Personalien, „möglichst ohne die Gäste zu stören“. Reine Routine. Für eine Viertelstunde verwandelt sich das Restaurant in eine Amtsstube. Hier wird ausgefüllt, abgestempelt, weggeheftet. Wenn nichts nachgewiesen werden kann, müssen die personenbezogenen Daten ohnehin bald wieder vernichtet werden. Das alles ist sehr deutsch, für jede Aussage gibt es ein Formblatt, und der Inhaber ist ganz überrumpelt von all der Gründlichkeit und dem Papierstoß, den er plötzlich in den Händen hält. Kurz darauf der Abgang, die Gäste blicken fast ein wenig traurig nach – vorbei die Pasta mit Kriminaleinlage.

Als das Team wenig später wieder zusammen im Bus sitzt, folgt eine ernüchternde Bilanz: kein Tanz, keine Schwarzarbeiter. Der Fahrer dreht den Wagen. Noch einmal fahren sie an dem Restaurant vorbei. Was sie erblicken, verleiht dem langweiligen Auftritt eine fast ironische Wendung: Plötzlich ist die kleine Pizzeria regelrecht verrammelt. Wo die Gäste eben noch gemütlich beisammen saßen, sind jetzt die Rollläden heruntergelassen. „Das ist ja komisch“, sagt einer der Fahnder. Aber machen kann man da natürlich nichts. „Die können ja ihr Lokal schließen, wann sie wollen.“

Es ist ein „nicht besonders erfolgreicher Tag“, so Ogorek. Einige Stunden später dann doch noch ein kleiner Erfolg: In einem koreanischen Restaurant am Ku’damm arbeitet jemand ohne Erlaubnis. Der Koreaner versteht kein Wort Deutsch. Er wird zunächst zu einer Gefangenen-Sammelstelle in den Wedding gebracht. Seine Identität soll ermittelt werden. Eine Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit ist nicht auszuschließen.