Unrasierte Eisbären

In der morgen beginnenden Play-off-Finalserie um die deutsche Meisterschaft greifen die Eishockeycracks aus Ostberlin gegen die Frankfurt Lions zum ersten Mal seit 16 Jahren nach dem Titel

AUS BERLIN DANIEL GOLDSTEIN

„Die gute Nachricht ist, wir sind im Finale, die schlechte, wir spielen gegen die Eisbären.“ Lance Nethery, der Manager der Frankfurt Lions, war direkt nach dem Finaleinzug seines Teams durchaus glücklich – und blickte mit krächzender Stimme und seinem typisch verkniffenen Gesicht dennoch eher pessimistisch nach vorne. Nachdem die Frankfurt Lions überraschend die Hamburg Freezers nach fünf spannenden Partien ausgeschaltet hatten, treffen sie in der morgen beginnenden Finalserie um die deutsche Eishockeymeisterschaft nämlich auf den EHC Eisbären Berlin.

Bereits vor der Saison zählten die Berliner zu den Mitfavoriten im Titelkampf. Während der Saison untermauerten sie ihre Anwartschaft auf den Meisterpokal durch fast schon erschreckende Dominanz: Nach den 52 Vorrundenpartien hatte das Team des kanadischen Trainers Pierre Pagé zwar „nur“ sieben Zähler Vorsprung auf den Zweitplatzierten, durchbrach aber als einziges Team die 100-Punkte-Marke und gewann immer dann souverän, wenn der Vorsprung auf ein Minimum zusammenzuschmelzen drohte – und das, obwohl Pagé und sein Assistenztrainer Hartmut Nickel nur in einem Vorrundenmatch ihren kompletten Kader zur Verfügung hatten. Das Verletzungspech schlug nicht zu knapp zu bei Leistungsträgern wie Roberts, Pederson, Keller oder Nationalstürmer Felski. Auch in den Play-offs zogen die Eishockeyprofis aus dem Berliner Nordosten einsam ihre Kreise. Ohne eine Niederlage überstanden sie die ersten zwei Runden gegen den nach der regulären Saison Achtplatzierten DEG Metro Stars und den auf dem siebten Platz rangierenden ERC Ingolstadt.

Erst zum zweiten Mal nach 1998 schafften die Eisbären damit den Einzug in das Finale. Damals scheiterten sie an den Adler Mannheim, dem dominierenden DEL-Team der Endneunziger. In diesem Jahr soll nun endlich der große Wurf gelingen. Seit 1988 wartet man im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen auf einen Titel. Damals gewann der SC Dynamo Berlin zum 15. Mal die DDR-Meisterschaft – gegen Dynamo Weißwasser, in der kleinsten Liga der Welt, bestehend aus ebenjenen zwei Teams.

„Es wäre schön, wenn wir unseren tollen Fans die Meisterschaft schenken könnten“, sagt nun der schwedische Mannschaftskapitän Ricard Persson. Der Verteidiger hat momentan ums Kinn herum mehr Haare als auf dem Kopf. Unter seinem Helm trägt Persson Glatze, seit Beginn der Play-offs am 10. März aber ragt um seinen Mund ein immer dichter werdender Vollbart. Nur eine Hand voll Eisbärenprofis pflegen diese „Tradition“, wie Jungstar Florian Busch es nennt, nach dem Sprichwort: „Wer rasiert, verliert.“ Ausgerechnet Persson, der sich sonst gern als „untypischen Eishockeyspieler“ bezeichnet, ist dabei. „Letztes Jahr habe ich mich rasiert, also probiere ich es diesmal ohne Rasur“, klärt er auf.

Überhaupt versuchen die Eisbären vieles anders zu machen als vor Jahresfrist. Auch damals starteten sie als großer Favorit nach einer überragenden Vorrunde in die Play-offs. Doch im Halbfinale war dann Schluss. Mit nur einem Sieg scheiterten die Berliner am späteren Champion Krefeld Pinguine. Viele sahen in der allzu großen Siegesgewissheit die Schuld an dem abrupten Ausscheiden. In der laufenden Spielzeit blieben die Eisbären trotz der Erfolge auf dem Boden. In den bisherigen sieben Play-off-Spielen sah man sehr selten etwas anderes als einen konzentrierten Blick in den Gesichtern der Spieler. Und auch in Fan-Kreisen ist das Wort Meisterschaft nach wie vor verpönt.

„Es werden zwei offensive Mannschaften aufeinander treffen. Ich denke, das Team mit der besten Defensive wird deshalb gewinnen“, prognostiziert Persson – ein weiterer Unterschied zum letzten Jahr: Gegen Krefeld verließen sich Persson und Co. blind auf ihr offensives „Torpedo“-System von Coach Pagé. Dieses Jahr spielen sie wesentlich flexibler. Da stürmen Rechtsaußen und Mittelstürmer nicht zu ungestüm nach vorne und es schaltet sich auch nicht immer nur der rechte, sondern auch mal der linke Verteidiger in den Angriff mit ein. Auf der anderen Seite deckt auch nicht nur der linke Stürmer nach hinten ab.

In der Vorrunde besiegten die Berliner die Löwen aus Frankfurt dreimal recht überzeugend, nur einmal gewannen die Hessen. Der EHC Eisbären ist auch deshalb Top-Favorit und muss, wie der Außenseiter, zwei Nachrichten verkraften: Die gute Nachricht ist, Lance Nethery steht im Gegensatz zu 1998 (bei Mannheim) nicht als Trainer, sondern als Manager hinter der Bande. Die schlechte: Die Lions werden vom Kölner Meistertrainer 2001, Rich Chernomaz, betreut.