Legende mit Perlenkette

In den USA gab es Pulitzerpreise. Einen bekam das Theaterstück „I am my own wife“ über Charlotte von Mahlsdorf

Bis an ihr Lebensende ließ sie sich nicht aus dem Gespinst ihrer eigenen Legende locken

Welch ein Timing! Vor Tagen erst wurde gemeldet, dass das Gründerzeitmuseum der Charlotte von Mahlsdorf am Ostermontag wiedereröffnet wird. Das Erbe von Deutschlands berühmtestem Transvestiten, das der schwedische Staat im vergangenen Sommer verschmäht hatte, kehrt nach neun Jahren in seine angestammten Räume in Berlin-Mahlsdorf zurück.

Die Nachricht bliebe eine Randspaltenmeldung, wäre nicht gestern bekannt gegeben worden, dass „I am my own wife“, ein Theaterstück über das Leben der vor zwei Jahren verstorbenen Ostdeutschen, den diesjährigen Pulitzerpreis in der Kategorie Drama erhält. Auch in den USA dürfte die Auszeichnung für das Einpersonenstück des US-Autors Doug Wright überraschen. Immerhin setzte sich das Werk, das im Dezember vom Off-Broadway an das kleine, aber feine Lyceum Theatre wechselte, gegen brisante Konkurrenz durch, etwa „Golda’s Balcony“, ein Einpersonenstück über die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir.

Was die Story des Ostberliners Lothar Berfelde, der zeit seines Lebens lieber Frauenkleidung trug und sich Charlotte von Mahlsdorf nannte, über die Dramatisierung eines spannenden Genderstoffes hinaushebt, ist die Verstrickung seiner Hauptfigur in die politischen Zeitläufte.

Doug Wright, 41, hatte Mahlsdorf Anfang der Neunzigerjahre in Berlin kennen gelernt. Die kuriosen Erzählungen des ebenso leisen wie in seiner Würde unerschütterlichen Wesens mit dem Dienstmädchenoutfit und der unerlässlichen Perlenkette entzückten damals nicht nur die Besucher des von ihm geleiteten Gründerzeitmuseums vor den Toren Ostberlins, sondern auch die Zuschauer diverser Talkshows, in denen Mahlsdorf gern gesehener Gast war.

Das westdeutsche TV-Publikum gab sich dem schönen Gefühl hin, hier habe es einen Menschen vor sich, der erst durch die Wende zum Einklang mit der Gesellschaft gekommen sei. Anders als viele Deutsche verschloss Doug Wright bei aller Faszination nicht die Augen vor latenten Widersprüchen in der Vita das Transvestiten. Gemeinsam mit Mahlsdorf beantragte er Akteneinsicht in die Stasi-Unterlagen und erkannte, dass nicht alle Erzählungen glatt aufgingen. Offenbar hatte Mahlsdorf mit dem Amt für Staatssicherheit enger kooperiert, als ihre Erzählungen glauben machen wollten.

Bis an ihr Lebensende ließ sich Charlotte von Mahlsdorf nicht aus dem Gespinst der eigenen Legende herauslocken – auch nicht gegenüber dem US-Autor, der seinen Entschluss, Mahlsdorfs Leben zu dramatisieren, ein ums andere Mal verzagt aufschob.

Die endgültige Form des Einpersonenstücks fand er schließlich über die Zusammenarbeit mit Jefferson Mays, einem bis dato relativ unbekannten Theaterschauspieler. Nicht nur gibt Mays die wunderliche Mahlsdorf, die im ersten Akt die Herzen der Zuschauer für sich gewinnt. Im schwarzen Dress mit Perlenkette schlüpft er anschließend in nicht weniger als 35 weitere Rollen, die Mahlsdorfs Verstrickungen aufzeigen, ohne sie im Gegenzug zu dämonisieren.

Gewissheit über Gut und Böse vermag „I am my own wife“ bei allem geradezu Grimm’schen Blick in menschliche Abgründe nicht zu vermitteln. Sicher dürfte indes sein, dass Mahlsdorfs märchenhaftes Leben über den Pulitzerpreis zur nationalen deutschen Legende werden wird.

REINHARD KRAUSE