Bush hält an rascher Machtübergabe fest

In den USA wachsen Zweifel, dass der Termin 30. Juni für die Rückgabe der Souveränität an eine irakische Zivilregierung zu halten ist. Im Pentagon wird angesichts der schiitischen Rebellion bereits über eine Verstärkung der US-Truppen nachgedacht

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Während die Situation im Irak in den vergangenen Tagen außer Kontrolle zu geraten drohte, hat sich George W. Bush vor allem eifrig ums Spendensammeln für seine Wiederwahl gekümmert. Am Rande gab er dann seine Standard-Durchhalteparolen aus: „Wir lassen uns von Terroristen und Verbrechern nicht erschüttern.“ Derlei lässt den Eindruck entstehen, dass der US-Präsident sich nicht des Ernstes der Lage im besetzten Zweistromland bewusst ist.

Das Pentagon erwägt nach den schiitischen Unruhen der vergangenen Tage, kurzfristig weitere Soldaten in den Irak zu entsenden. Der Befehlshaber der US-Truppen in der Golfregion, General John Abizaid, habe eine entsprechende Anfrage an das Verteidigungsministerium in Washington gestellt, will CNN erfahren haben. Ein solcher Schritt wäre in den USA äußerst unpopulär, und er widerspräche der bisherigen Zusage der US-Regierung, die Zahl der GIs im Jahresverlauf zu reduzieren. Da die US-Streitkräfte längst ihre Kapazitätsgrenze erreicht haben, müssten entweder die Stationierungsdauer erhöht, der begonnene Truppenaustausch unterbrochen oder neue Reservisten mobilisiert werden – alles Maßnahmen, mit denen sich eine Regierung im Wahljahr unter den Soldaten und Militärfamilien keine Freunde macht.

Im Unterschied zum Präsidenten weisen politische Kommentatoren und eine wachsende Politikerschar auf die enormen Risiken und die Dringlichkeit hin, endlich Pläne für die Machtübergabe an eine souveräne Regierung im Irak und eine Internationalisierung der Bemühungen um „nation building“ in dem Land vorzulegen.

Bush, der aus wahltaktischen Gründen unbedingt den 30. Juni als Termin für eine Machtübergabe festhalten will, gerät nun auch aus den eigenen Reihen unter Druck. So forderte der einflussreiche Senator Richard Lugar, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses, eine Debatte über eine Verschiebung des bisherigen Zeitplanes.

Sein Senatskollege Joseph Biden sieht nur so „eine letzte Chance“ für die Stabilisierung des Irak. Biden schlägt eine internationale Konferenz für den Irak vor, die dem Muster Afghanistans folgt. Dort solle Bush Kriegsgegner und -befürworter an einen Tisch bringen.

Unabhängig von den militärischen Planspielen sagen Nahost-Kenner im positiven Fall noch mindestens ein Jahr Guerillakrieg voraus. „Dies ist kein Krieg, von dem wir sagen können, dass wir ihn gewinnen werden“, warnt Anthony Cordesman vom „Center for Strategic and International Studies“ in Washington. Seine größte Sorge gilt einem verheerenden Anschlag, der die Moral der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten brechen könnte. Die grauenvollen Bilder der geschändeten vier Amerikaner in Falludscha haben gezeigt, wie rasch die Stimmung in den USA zu beeinflussen ist.

Für Bush ergibt sich ein Dilemma. Es ist offensichtlich, dass der vom US-Wahlkalender diktierte Termin 30. Juni keine funktionierende irakische Übergangsregierung hervorbringt. Verschiebt er die Machtübergabe, wird ihm dies zu Hause als Einknicken und Schwäche ausgelegt. Pocht er auf den anvisierten Termin, kann er den Amerikanern zwar den versprochenen Rückzug vorgaukeln, spielt jedoch radikalen Kräften im Irak in die Hände und riskiert die Zukunft des Landes.

Es scheint, was er auch tut, kann er nur falsch machen – eine Einsicht, die sich mittlerweile auch in der US-Bevölkerung breitmacht. Nach einer am Montag veröffentlichten Umfrage rutschten Bushs Umfragewerte auf einen Tiefststand. 53 Prozent der Amerikanern lehnen seine Irakpolitik ab. Nur noch 43 Prozent sind gar mit seiner Gesamtleistung zufrieden.

Doch damit nicht genug. Bushs eigener Geheimdienst schrieb ihm jüngst ins Stammbuch, dass der Irakkrieg die Gefahr für die USA durch den internationalen Terrorismus erhöht habe. Nach Informationen der Washington Post bekräftigten Experten von CIA und State Department damit einen zentralen Kritikpunkt von Richard Clarke, Bushs ehemaligem Antiterrorberater – zwei Tage vor der Anhörung von Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice keine frohe Kunde für den Präsidenten.