Ein Bezirk bringt sich um die Ecke

Die „Imbiss-Ecke“ am Schlesischen Tor soll weg: Der Bezirk und ein Investor wollen dort einen sechsgeschossigen Bau hinsetzen. Die Anwohner sammelten über 3.000 Protestunterschriften

VON CHRISTIAN VATTER

Nicht nur für Nachtschwärmer ist die Ecke am Schlesischen Tor eine Anlaufstelle: In dem eingeschossigen Multifunktionsbau zwischen Oppelner und Schlesischer Straße kann man rund um die Uhr essen, Backwaren oder Gemüse und Obst kaufen.

Mitte März erfuhren die Ladenbesitzer zufällig über das Wrangelkiezblatt, dass das Gelände vom Bezirk verkauft werden soll. Statt einstöckiger Bebauung solle es sechs Geschosse geben, hieß es. Niemand hatte es anscheinend für nötig befunden, die Gewerbetreibenden persönlich zu informieren. Sie haben alle nur Einjahresverträge: Die Angst um den Fortbestand ihrer Geschäfte liegt nahe.

Eine Anwohnerin aus dem Kiez, Angelika Mager, sieht nicht nur die Geschäfte in Gefahr, sondern auch die „wichtigste Begegnungsstätte“ des Wrangelkiezes. Und sie ist nicht allein: Mager sammelte einen dicken Ordner voll Unterschriften von Anwohnern und Imbissbesuchern, die sich gegen das Vorhaben wandten. „Bei dreitausend Unterschriften habe ich aufgehört zu zählen.“

Laut Siegfried Rudolph von der Bauleitplanung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg ist das Gelände nur für zwei Geschosse vorgesehen – so will es der Bebauungsplan von 1990. Ein neuer Plan soll nun her, der mehr Geschosse ermöglicht, sagt Rudolph. Ein solcher muss aber erst ordnungsgemäß aufgestellt werden. Erster Schritt ist oftmals eine „frühzeitige Bürgerbeteiligung“, so Rudolph.

Noch bis zum 20. April können sich Bürger des Bezirks die Pläne im Bezirksamt ansehen und Einwände vorbringen, die auch berücksichtigt werden müssen. Denn darauf folgt erst das Verfahren, bei dem das Bezirksamt alle Einwände und Befürwortungen gegeneinander abwägen muss.

Trotzdem inseriert der Liegenschaftsfonds, dem das Grundstück gehört, bereits im Internet – mit der Option, sechs- und zum Teil sogar siebenstöckig zu bauen. Zwar wird darauf hingewiesen, dass sich der Bebauungsplan „in Aufstellung“ befindet, nicht aber darauf, dass sich an ihm noch etwas ändern kann.

Laut Franz Schulz, dem Baustadtrat des Bezirks, gehört das Gelände schon seit ungefähr einem Jahr nicht mehr dem Bezirk. Der Liegenschaftsfonds bekomme alle Grundstücke, die nicht mehr öffentlich genutzt werden, übereignet, um sie zu verkaufen. Darüber solle der Landeshaushalt saniert werden. Der Bezirk sei bei einem Verkauf aber trotzdem noch zu 25 Prozent am Gewinn beteiligt. Deswegen wolle auch der Bezirk den Bebauungsplan ändern. Die bis jetzt vorgesehenen zwei Geschosse würden nicht so viel Gewinn bringen wie die geplanten sechs oder sieben.

Bei einem Gespräch mit den Mietern vergangene Woche sicherte Schulz zu, sich für sie einzusetzen: „Ich stehe in kooperativem Kontakt mit dem Liegenschaftsfonds und werde mich für den Investor einsetzen, der die Gewerbetreibenden mit einbezieht.“ Auf den Preis habe er keinen Einfluss, wohl aber auf denjenigen, der erwerben dürfe.

Interesse angemeldet hat einer der Mieter: Der Besitzer des Imbisses „Bagdad“. Er fehlte bei dem Gespräch. Die anderen Mieter berichteten aber, dass er in einem Vorgespräch mit ihnen zugesichert habe, dass sie bleiben könnten. Sie sollen im neuen Gebäude die Räume im Parterre erhalten, darüber sollen seniorengerechte Wohnungen entstehen.

Schulz sicherte zu, dass sie in der Bauzeit von mindestens einem Jahr provisorisch untergebracht werden könnten – er habe schon einen Platz vorgesehen.

Bis zum 20. April liegt der neue Bebauungsplan im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Yorckstraße 4–11, Fachbereich Stadtplanung, aus