Querschüsse aus der Schattenzone

Osnabrück will „Kulturhauptstadt Europas 2010“ werden – Die Wahrheit ist dabei

Die zwischen Teutoburger Wald und Wiehengebirge gebettete, mit schmucken Asphaltbändern umgürtete niedersächsische Gemarkung Osnabrück bewirbt sich um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“ und löckt damit wider die Landesregierung, deren Wohlwollen allein auf Braunschweig ruht. Die Wahrheit wird Osnabrück auf dem langen Weg durch die Institutionen publizistisch begleiten und nach bestem Vermögen unterstützen.

Die Meldefrist für die Anwärter auf den Titel „Kulturhauptstadt 2010“ ist abgelaufen. Am 25. März 2004, knapp eine Woche vor dem letztmöglichen Termin, wurden die Osnabrücker Bewerbungsunterlagen säuberlich sortiert, fehlerfrei abgetippt und ohne Eselsohren dem darob hocherfreuten niedersächsischen Kultusminister Lutz Stratmann übergeben. Die Expedierung übernahm der mit Gefahrenguttransporten wohlvertraute Oberbürgermeister Hans-Jürgen Fip persönlich, tüchtig unterstützt von Honoratioren, Notabeln und 44 kleinen Steckenpferdreitern, die mit ihrer Kostümparade an einen alten regionalen Brauch erinnerten.

Mit der pünktlichen Abgabe wurde Osnabrück einmal mehr seiner Favoritenrolle gerecht. Durch die gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten nebst einer forcierten Rückbesinnung auf vorhandene Werte und Waren schien die Perle Südwestniedersachsens gut aufgestellt und glänzend positioniert. Profile sind geschärft, Fassaden und Bilanzen wurden fein herausgeputzt, die vorhandenen Alleinstellungsmerkmale frisch gestrichen.

Bei den Vorbereitungen war die Mitwirkung der Bürger gefragt, passende Antworten ließen nicht auf sich warten. Trotz bescheidener finanzieller Ausstattung konnte es gelingen, Planungssicherheit zu schaffen. Damit schien die Bewerbung auf einen guten Weg gebracht, die Stadt auf der kulturpolitischen Landkarte sicher platziert.

Nun aber rumort es in den Niederungen des Haselaufs, neben Osterglocken und Krokussen blüht der Unmut. Zornig und zähneknirschend musste Reinhard Sliwka, der erste Kulturbewahrer der Stadt, ein aus ominöser Quelle stammendes und hinterrücks an ihm vorbei geschleustes Planungspapier zur Kenntnis nehmen, das eklatante Kürzungen ausgerechnet im Kulturbereich auflistet, somit das Osnabrücker Engagement in Verruf zu bringen droht und den sicher geglaubten Titelgewinn nachhaltig gefährdet. Ein Komplott kulturfeindlicher Kreise?

Schon sind erste Zeichen von Defätismus zu erkennen. Sogar die lokale Presse füllt ihre Druckerpatronen neuerdings mit Galle und Vitriol: „So reiht sich Provinzposse an Provinzposse“, giftet die beinahe unbestechliche Neue Osnabrücker Zeitung, und das Stiefschwesterblatt Osnabrücker Nachrichten titelt am selben Erscheinungstag: „Viel Ramsch statt Glanz“.

Angesichts solcher Vorgänge fühlt sich Die Wahrheit missbraucht, verletzt, besudelt. Sollte es sich bei der Osnabrücker Bewerbung womöglich nur um eine Täuschung, einen billigen Werbegag gar, gehandelt haben? Vorerst noch glaubt Die Wahrheit an das Gute im Menschen und in schläfrigen Hansestädten und steht in Treue fest zu Osnabrück, wird aber die dortigen Machenschaften aufmerksam im Auge behalten. Denn wo abgefeimte Defraudanten walten, muss Die Wahrheit weichen. Dazu ist sie kraft ihrer ethischen Grundsätze verpflichtet.

CASPAR WIEDENBROCK