Lehmann beweist seine Klasse

Durch einen Patzer des deutschen Nationalmannschaftsersatztorhüters verliert Arsenal London gegen Lokalrivalen Chelsea und scheidet aus der Champions League aus

LONDON taz ■ Lange nachdem sich Regen und Zuschauer aus dem zugigen Highbury verabschiedet hatten, rieselte es von hoch oben warm auf Chelseas Spieler hernieder. Roman Abramowitsch war mit Frau Irina und fünfköpfiger Entourage in die Loge zurückgekehrt, um den Triumphzug seiner Mannschaft mit kindlicher Begeisterung zu beklatschen; surreal hallte der halblaute Sound des Sieges durch das vom späten Treffer der Gäste (Wayne Bridge, 87.) leer gefegte Stadion. Die Blauen schauten zufrieden zum „roten Rom“ auf und kosteten den Einzug ins Halbfinale der Champions League aus. „Süß wie Schokolade“, schmecke dieser 2:1-Erfolg bei den favorisierten Gunners, sagte Eidur Gudjohnson, Claudio Ranieris, der italienische Trainer, rang gar gerührt mit den Tränen. „30 Sekunden im Delirium“ habe er verlebt, berichtete der seit Monaten von den Chelsea-Bossen abgeschriebene Coach in der Stunde der größten Genugtuung. „Ich war verrückt.“

Nicht ganz so schlimm, aber kaum weniger drastisch war die unfeine Kritik gewesen, die Geschäftsführer Peter Kenyon in inoffiziellen Interviews gegenüber der Presse geäußert hatte. Ranieri würde zu defensiv spielen lassen, hätte mit dem vielen Geld die falschen Spieler gekauft, er wisse wohl selber nicht, was seine beste Elf sei, lautete die Anklage. Die Demission des Italieners galt so sicher, dass der Verein noch am Dienstag das Gerücht einer möglichen Vertragsverlängerung dementiert hatte. Wie „ein zu Tode Verdammter“ komme er sich vor, hatte Ranieri neulich gebeichtet, doch der erste und wichtigste Sieg nach 17 erfolglosen Stadtderbys lasse ihn „weiterleben, weitergehen“, es sei schwer, ihn umzubringen, freute sich der Römer. Gewinnt Chelsea die Champions League, kann Ranieri gar nicht mehr gefeuert werden.

Auf „80 zu 20“ bewertete Arsène Wenger Chelseas Chancen, im Mai in der Arena AufSchalke zu spielen. Allein daran merkte man schon, wie sehr das neuerliche Scheitern in der Königsklasse dem Franzosen an der Seele nagte. Arsenal lag in einem sagenhaften Match verdient vorne (Reyes, 45.), doch dann kam die 51. Minute, ein unplatzierter Weitschuss von Makelele und damit der „Wendepunkt“ (Wenger). Mit dem Ausgleich tauchten all die nach dem Aus im FA-Pokal am Samstag mühsam unterdrückten Selbstzweifel Arsenals wieder auf. Wer wie die Gunners alles in Grund und Boden spielt, kann kurz vor dem Gipfel der Fußballkunst nur noch an Höhenangst scheitern; Jens Lehmanns Patzer („Ich habe den Ball genau an den Kiefer bekommen, das war nicht ideal“) aber ließ Arsenal mit einem Mal nach unten schauen. Überflieger fallen tiefer und härter als ihre pragmatischen Rivalen, dieses Wissen lähmte.

Jens Lehmann sah hernach innerlich zerstört aus. „Ich hatte gehofft, hier keinen reinzukriegen“, sagte er, „leider habe ich meinen Teil dazu beigetragen, dass das nicht klappte.“ Auch sein Trainer schien das so zu sehen, wie man hört, sucht Wenger schon nach einem neuen Keeper, und auch der Boulevard gibt keinen Penny mehr auf Lehmann. „Deutschland hat der Welt Beethoven, Claudia Schiffer und Michael Schumacher geschenkt, aber Arsenal hat nur Lehmann bekommen. Vielleicht hat Wenger ihn mit Oliver Kahn verwechselt“, lästerte die Sun.

RAPHAEL HONIGSTEIN