ROBIN ALEXANDER aus Südafrika über WHITE
: Wo bleibt das Negative, Herr Alexander?

Wer nach Südafrika fährt, soll gefälligst nicht nur von Grillfesten berichten. Deshalb heute: Arme weiße Jungs

Unser Kolumnist arbeitet für zwei Monate als Reporter bei „The Star“ – in Johannesburg, Südafrika. Au Backe!

Ja, haben die da unten denn nur Spaß? Das ist der Tenor der E-Mails, die mich auf meine Berichte aus der Redaktion des Stars erreichen. Während sich einige Leser nach meinem Gesundheitszustand und andere nach den günstigsten Flügen erkundigen, nörgeln dritte: Wo bleibt das Negative, Herr Alexander? Die gute deutsche Skepsis erlaubt nämlich nicht, nur von Grillfesten, Glücksspielen und Gelagen zu lesen. Schon gar nicht von den Grillfesten, Glücksspielen und Gelagen anderer Leute. Gibt es denn dort nicht auch ein bisschen Aids, Armut, Apartheidnachwirkungen? Schließlich kriegen die doch Entwicklungshilfe von uns!

Stimmt ja, stimmt ja. Und alle guten Menschen, die sicher sein wollen, dass es niemandem besser geht als ihnen, können beruhigt einschlafen: Es ist ganz, ganz schlimm in Südafrika – mit dem weißen Rassismus, der farbigen Geschäftemacherei und der schwarzen Kriminalität. Und: Die Inder hier sind auch nicht alle Gandhi! In der Redaktion des Stars allerdings lässt man sich die Laune nicht verderben von Supermarktüberfällen, neuen Aidsstatistiken oder Übergriffen auf Asylbewerber aus Simbabwe. Hier hört der Spaß erst auf, wenn die Jobs vergeben werden. Ganz schlechte Laune hat gerade Charles de Olim vom Kulturressort. In Deutschland heißt diese Abteilung Feuilleton und beantwortet die Frage: Welchen Platz nehmen Ikeas Billy-Regale in der großen Erzählung der Postmoderne ein?

In Südafrika heißt die Abteilung „Tonight“, weil sie die Frage beantwortet: Where do we go tonight? Heute Abend geht Charles sich besaufen. Er ist 28 und hat im vergangenen Jahr erst ein Praktikum gemacht und dann zwei befristete Drei-Monats-Verträge bekommen. Jetzt ist eine richtige, schöne, unbefristete Stelle im Tonight-Ressort frei: eine Stelle, wie geschaffen für Charles, denn er liebt die Künste, das Schreiben – und seine Ressortleiterin ihn. Blöd nur: „Die Einstellung erfolgt im Einklang mit dem Gesetz zur Gleichstellung“, steht ganz unten auf der Ausschreibung. Dieses Gesetz soll die Ungerechtigkeiten der Apartheid ausgleichen und verlangt zuerst schwarze Frauen einzustellen, dann schwarze Männer, dann farbige Frauen, dann farbige Männer, dann indische Frauen, dann indische Männer, dann weiße Frauen und erst dann weiße Männer. Wer jetzt schon geraten hat, zu welcher Kategorie der arme Charles gehört, schreibt die Lösung auf eine Postkarte und schickt sie an: taz-Genderredaktion, Kochstraße 18, 10969 Berlin. Stichwort: „pale male“.

Pale male meint blasse Männer. PMP (pale male problem) wird in der Redaktion ungefähr so gerne thematisiert wie das weibliche PMS (Post-Menstruations-Syndrom)

– Ist es nicht unfair, dass Charles in einem Ressort mit fünf Stellen auf die achte frei werdende Stelle warten soll?

– „Das soll unfair sein?“, meint Themba wa Sepotokele, der im Politikressort arbeitet. „Dass Kinder wie Charles als Kind Nachhilfestunden in Englisch bekamen, während ich im Township in einer Schule ohne Fensterscheiben die Burensprache lernen musste, das war unfair!“

– „Warum ist Charlez besser als Charles?“, hat jemand auf die ausgehängte Ausschreibung geschmiert. Die Afrikanisierung des Namens hat eine weibliche Handschrift durchgeführt.

Charles, dessen Vater wie viele portugiesischstämmige Südafrikaner tatsächlich einen Spar-Supermarkt betreibt, hat sich am Ende doch auf die Redakteursstelle im Tonight-Ressort durchgerungen. Obwohl er weiß ist und seine Bewerbung also aussichtlos. Aber der letzte Satz seiner Bewerbung lautet: „Außerdem stammen sowohl meine Großeltern mütterlicherseits als auch meine Großeltern väterlicherseits von Madeira. Ich kann also meine Herkunft direkt zurückverfolgen zu den Mauren aus Afrika.“

Job für Charles, Charlez oder Charline? kolumne@taz.de

Nächsten Dienstag: Bernhard Pötter über KINDER