„Iranische Kurden können lachen“

Es ist an der Zeit, Kameras statt Gewehre zu benutzen: Ein Gespräch mit dem kurdischen Regisseur Bahman Ghobadi über seinen neuen Film „Marooned in Iraq – Songs of my Motherland“ und über die Kultur des ständigen Unterwegsseins

Interview DOROTHEE WENNER

taz: Herr Ghobadi, wer sind die drei Hauptdarsteller Ihres Films – Fa'eq Mohamadi, Shahab Ebrahimi und Allah-Morad Rashtiani?

Bahman Ghobadi: Alle drei sind „echte“ Straßenmusiker. Ich bin ihnen auf der Hochzeit meiner Schwester zum ersten Mal begegnet. Mir fielen gleich diese ungewöhnlichen Gesichter auf. Gefällt mir ein Gesicht, gehe ich auf den Menschen zu, beginne ein Gespräch und versuche, ihn oder sie mit irgendeinem Trick reinzulegen. Von der Reaktion darauf mache ich es abhängig, ob ich mit dieser Person als Schauspieler arbeiten kann.

Sie arbeiten ausschließlich mit Laiendarstellern. Haben Sie aus der Not eine Tugend gemacht? Oder würde es Sie reizen, einen Film mit „echten“ Schauspielern zu drehen?

Wenn zum Beispiel ein Al Pacino als Held meines nächsten Films vor mir stünde – ich hätte keine Ahnung, was ich mit ihm machen sollte. Tatsächlich war es in meinen ersten Kurzfilmen so, dass ich aus Geldknappheit meine Verwandten zu Darstellern gemacht habe. Dabei habe ich eine ganz spezifische Arbeitsweise entwickelt, denn meine Filme erzählen vor allem von Erfahrungen, die Leute um mich herum – und eben auch meine Darsteller – tatsächlich gemacht haben. So habe ich nie ein Drehbuch. Stattdessen schreibe ich nachts auf, was ich tagsüber beobachtet habe: wie meine Darsteller essen, worüber sie reden. Ich nehme, was sie mir geben, und bitte sie dann später, wenn die Kamera dabei ist, das zu wiederholen. Deswegen wirken meine Filme sehr dokumentarisch.

„Die Zeit der trunkenen Pferde“ war ein großer Erfolg. Viele Zuschauer, vielleicht auch Produzenten hätten sicher gern eine Fortsetzung gesehen.

Ich wollte nicht, dass meine Zuschauer noch mal so traurig aus dem Kino gehen wie nach „Zeit der trunkenen Pferde“. Mir ging es in diesem Film darum, zu zeigen, dass es in Kurdistan auch andere Themen gibt. Es stimmt natürlich: Die Kurden haben unendlich viel Leid, Kriege und Schmerzen erlebt. Wenn wir trotzdem heute nicht nur als Verlierer dastehen, liegt es an zwei wirkungsvollen Waffen: unserem Humor und unserer Musik. Genau darum geht es in meinem Film: die Tragödie, die unseren spezifischen Humor hervorgebracht hat, und die Musik. Und das ständige Unterwegssein, das unsere ganze Kultur prägt.

Der Film spielt kurz nach dem Ende des iranisch-irakischen Krieges. Durch den letzten Irakkrieg hat die Thematik eine extreme Aktualisierung erfahren. Fast beschleicht einen das Gefühl einer Vorausahnung, die Sie möglicherweise bei den Dreharbeiten hatten.

Die Präsenz der Amerikaner in diesem Krieg war nichts Neues für uns. Jedes zweite, dritte Jahr kommt es zu militärischen Auseinandersetzungen. Wer weiß, als Nächstes wirft vielleicht Bin Laden ein paar Bomben über Kurdistan ab, oder aber die Türkei greift an. Fest steht doch nur, dass durch das letzte Kriegsende das kurdische Problem sicher nicht gelöst ist. Das liegt vor allem an den Bodenschätzen in der Region. Würden hier in Deutschland Bodenschätze entdeckt, würde es nicht viel anders aussehen als in Kurdistan.

Ihre Protagonisten reisen über die iranisch-irakische Grenze, bleiben aber in Kurdistan. Als Zuschauer wird einem bewusst, wie riesig diese Region ist und wie unterschiedlich sich die kurdische Kultur in Iran und Irak entwickelt hat.

Das war mir ganz wichtig, auch wenn mir klar war, dass es für ausländische Zuschauer nicht leicht sein würde, die Unterschiede auszumachen. Es mag sich vielleicht bitter anhören, aber es stimmt: Anders als irakische Kurden können iranische Kurden immerhin noch lachen. Was uns eint, ist die unendliche Vielzahl von Geschichten, die jeder Einzelne erzählen kann und erlebt hat. Jede meiner drei Hauptfiguren liefert nach konventionellen Maßstäben Stoff für einen eigenen Film. Prallvoll mit Geschichten zu sein ist eben typisch kurdisch.

„Marooned in Iraq“ unterscheidet das von anderen iranischen Filmen. Gibt es aber aus Ihrer Sicht Berührungspunkte zu den Filmen der anderen iranischen Regisseure?

Ich finde, das iranische Kino ist in letzter Zeit etwas „faul“ geworden. Man tritt auf der Stelle. Letztendlich imitieren die meisten iranischen Filmemacher Abbas Kiarostamis Stil. Mir dagegen liegt daran, etwas Neues zu machen. Ob es besser oder schlechter ist, sei dahingestellt – aber ich predige auch jüngeren Filmemachern, dass die „dritte Generation“ sich vor allem um Abwechslung bemühen muss.

Wen genau meinen Sie?

Na, vor allem die etwa 200 jungen Menschen, die jetzt angefangen haben, Kurzfilme zu drehen. Da gibt es eine echte Welle, die nicht zuletzt der Erfolg von „Zeit der trunkenen Pferde“ ausgelöst hat. Allein in unserer Straße gibt es inzwischen 13 Filmemacher, unter anderem meine Schwester, deren Mann und meine beiden Brüder und unsere Nachbarn – ein Ehepaar, die sich beide als Filmemacher verstehen. Einige dieser Filme werden auf dem kurdischen Filmfestival in Berlin zu sehen sein. Und viele von den jüngeren Filmemachern sagen, dass es an der Zeit sei, Kameras statt Gewehre zu nutzen.