Freundliche Animateure gesucht

Im Auswahlverfahren für den Club Méditerranée werden nur die besten genommen. Das sind mangels Bewerber dann gleich alle. Am Ende des vierwöchigen Arbeitsaufenthalts im Feriendorf mit Sechstagewoche bleiben ihnen 600 Euro Lohn

VON MAREKE ADEN

„Pack schon mal deinen Koffer“, sagt Patrick zu Jana am Ende, und Jana ist „richtig happy“, wie sie sagt. Sie hat einen Rap aufgeführt, sie hat einen Fragebogen ausgefüllt und ist von einer Jury befragt worden. Sie hat das alles einigermaßen überstanden. Jetzt darf sie mit. Das heißt zwar nicht, dass sie Pop- oder Superstar wird, das heißt auch nicht, dass sie irgendwo herausgeholt oder gewählt wird, und das heißt nicht, dass sie eine Viertel-Fernsehberühmtheit wird. Nein: Jana wird Animateurin beim französischen Cluburlaub-Anbieter „Club Med“.

Es liegt nahe, dass das ein Beruf ist, in dem ein bisschen Vorführen nicht schaden kann. Aber es drängt sich der Verdacht auf, dass in einer Zeit vor „Big Brother“ nicht schon nach zehn Minuten Auswahlverfahren die ersten Aufführungen fällig gewesen wären. Jana steht also um neun Uhr morgens im Konferenzraum eines Hotels zwischen grauen Tischen, Overhead-Projektor und Beamer und gibt die Rap-Tänzerin. „Auf der Suche nach fremden Kulturen“, sagt der Junge, der in der Mitte sitzt. Jana und vier andere Frauen machen dazu Bewegungen, die zu fremden Kulturen passen: Bauch- und andere Tänze. Eine andere Zeile des Raps handelt vom Sport im Cluburlaub. Jana surft dazu pantomimisch.

Der Rap erfüllt die Aufgabe, „das darzustellen, was die Gäste vom Club Med in euren Augen erwarten“, sowie die Formvorgabe: „Bitte, bitte, nicht so: Einer steht vorne und liest vom Blatt ab, die andern traurig dahinter, sondern: Versucht, irgendwie witzig zu sein!“

Die anderen Gruppen sind ebenso kreativ wie die von Jana, haben aber den Nachteil, dass sie für ihre Ideen schauspielerisches Talent benötigt hätten. Es ist eben nicht leicht, ein Pärchen zu spielen, das sich unter möglichst häufiger Verwendung der Worte „Club Med“ überlegt, dass es im Club Med wohl am ehesten die Ruhe und Erholung finden werde, die es dringend benötigt. Am Drehbuch hätte durchaus auch noch gefeilt werden können.

Uwe sagt bei der ersten Zigarettenpause, dass ihm der Gruppenzwang nicht behage. Das erinnere ihn an Religiöses: „Sind wir hier bei Scientology gelandet“?, wahlweise an eine Jugendveranstaltung: „Is doch Kinderkrams.“ Aber nach den Sketchen wird es wieder erwachsener: Nach je 20 Minuten unterbricht Patrick von der Jury die Gruppen, weil es mit seiner Powerpoint-Präsentation „leider etwas technischer werden muss, obwohl wir von der Gruppe gerade eben schon sehr viel Wahres gehört haben“. Er erzählt, wie das Unternehmen Club Med anfing – mit Zelten – und wer es heute leitet: „Vielleicht habt ihr den Namen schon mal gehört, Henri Giscard d’Estaing, der Sohn eines französischen Präsidenten.“

Diese Kurzvorlesungen über ein Unternehmen und seine Kultur sind aber auch eine Einführung in eine neue, kleine Geheimsprache, die Jana und Uwe und alle anderen im Crash-Kurs lernen sollen. Das ist kein Hotel, sondern ein Dorf. Dort arbeiten keine Animateure, sondern „Menschen, die den Gästen jeden Wunsch von den Lippen ablesen“. Und es gibt keine Gäste, sondern GMs, ausgesprochen „djee-ems“. Es ist die französische Abkürzung von gentil membre, also freundliches Mitglied.

Wer einen Cluburlaub bucht, das wird durch die Tabellen und Diagramme von Patrick schnell klar, der könnte einen Teil seines Gehirns an der Rezeption abgeben und würde trotzdem überleben. Er bekommt eine Rundumversorgung: Büfett und Drinks, Sport- und Unterhaltungsprogramm, Ausflüge und Kultur im vorgefertigten Format. Denken müssen nur die Animateure. Patrick erklärt, dass sie für die Gespräche zuständig sind: „Ihr setzt euch zu den Leuten an den Tisch und redet freundlich mit ihnen.“ Deswegen sollen auch nie mehr als zwei Animateure an einem Tisch essen.

Weil aber trotzdem möglichst viele Gäste – Pardon: djee-ems – zu jeder Zeit unterhalten werden wollen, braucht Club Med viele Animateure. Weil das französische Unternehmen deutscher werden möchte, braucht es auch deutsche Animateure. In der Club-Med-Sprache heißt das: 300 GOs – zu Deutsch: freundliche Organisatoren – für die europäischen „Dörfer“.

Für das Wort „Problem“ scheint es in der Sprache eines Anbieters für Cluburlaub keine freundliche Abkürzung zu geben. Aber es scheint, als hätte Club Med trotzdem eins: Aus ganz Deutschland, von der dänischen, der polnischen und der österreichischen Grenze sind zum zentralen Casting in Berlin die Anwärter angereist. Und doch sind es nur 20. Sie sind um die 20 Jahre alt und haben ein Geld- oder ein Lehrstellenproblem. Nur einer ist schon länger in der Gastronomie tätig gewesen und will nun Mitarbeiter im „Food und Beverages“-Bereich von Club Med werden.

Am Ende werden alle 20 genommen. „Pack schon mal deinen Koffer“, sagt Patrick zu Jana. Zu allen anderen sagt er etwas Ähnliches. Sie werden also ihre Sachen packen, und noch bevor der Winter zu Ende ist, werden sie in einem Skigebiet sein. Die meisten von ihnen werden den ganzen Tag Kinder betreuen, deren Eltern die Pisten runterpreschen. Sie werden das sechs Tage die Woche tun. Sie werden 960 Euro verdienen. Sie werden 210 Euro für das Zimmer zahlen, das sie teilen müssen. Sie werden Geld an dem einzigen freien Tag in der Woche ausgeben und nach einem Monat 600 Euro mit nach Hause nehmen. Dafür soll ihr Englisch sehr gut und ihr Französisch gut sein. Dafür sollen sie unabhängig sein, am besten partnerlos und flexibel, was in diesem Fall offensichtlich bedeutet: auf gepackten Koffern sitzen. So sieht es auf dem europäischen Arbeitsmarkt im Moment wohl aus.

Aber die 20 hatten noch Glück. Jana berichtet von anderen Animateur-Castings, die Tage währten und in denen alle Teilnehmer zwei Stunden tanzen sollten. Einige hätten aufgegeben und seien weinend nach Hause gegangen. Sie aber habe durchgehalten und am Ende doch eine Absage bekommen. Jana ist also „happy“. Nach einem Rap, ein paar Erklärungen über freundliche Ausdrücke und Abkürzungen, einem Französischtest, in dem sie abschrieb und trotzdem durchfiel, und einem fünfminütigen Vorstellungsgespräch darf sie die Koffer packen.