Friedhof der Träume

Seit 18 Jahren begleitet die Dokumentation Menschen, die in „Berlin – Ecke Bundesplatz“ wohnen. Es ist eine Sammlung gescheiterter Lebenspläne

VON DANIEL SCHULZ

Das Leben scheint stetes Scheitern zu sein. Zumindest das Leben, wie es 3Sat in der ambitionierten Langzeitdokumentation „Berlin – Ecke Bundesplatz“ zeigt. Seit nunmehr 18 Jahren begleiten die Filmemacher Hans-Georg Ullrich und Detlev Gumm über 20 Personen, die am Bundesplatz wohnen.

Vier frische Folgen zeigt 3Sat derzeit. Und die dokumentieren meist Enttäuschungen: Knast, Sozialhilfe, geplatzte Träume. So sitzt der Anwalt Ülo Salm wegen Betrugs 14 Monate ein. Er steht plötzlich ebenso vor einem Scherbenhaufen wie die Mitglieder der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins. Der Ableger der SED hatte seine Zentrale am Bundesplatz. Nach der Wende löst sich die Partei auf, die Streiter für den Kommunismus verlieren jeden Kontakt zu einander. Er habe über 15 Jahre verschwendet, sagt eines der Exmitglieder im Jahr 2003. Seine frühere Mitgenossin glaubt, dass ihre fernen Nachfahren einmal den wirklich gerechten Sozialismus kennen werden und dann sagen: „Ah, meine Ur-Ur-Ur-Oma, da war doch mal was.“ Endstation Hoffnung.

Selbst wenn die Menschen vom Bundesplatz nicht offensichtlich scheitern, sind sie ohnmächtig gegenüber dem Alltäglichen. Der Schornsteinfeger Michael Creutz muss rüber in den verhassten Osten und dort arbeiten. Er hat jetzt zwar Frau und Kind. Doch dass er den Dok-Filmern einmal gesagt hat, eine solche Familie wäre „das höchste Glück“, möchte er nicht mehr wissen: „Die Kassette will ich mal noch einmal sehen.“ Weil er womöglich nicht mehr daran erinnert werden will, dass er in Kalifornien nicht die ersehnte Schwarzenegger-Karriere geschafft hat. Vielleicht sagt er deshalb seinem Lehrling, dass jeder einmal versuche, auszubrechen: „Das sind Flausen, die gehen vorbei.“ Es klingt wie eine Drohung.

Alles Streben ist vergeblich

„Es ist alles eitel“ heißt ein Gedicht des Barockdichters Andreas Gryphius: Alles irdische Sein ist vergänglich, alles Streben vergeblich. Auch dem Bundesplatz trotzen seine Menschen meist vergeblich – er holt sich den einfachen Arbeiter aus Amerika ebenso wieder wie den in eine Vorortvilla geflüchteten Adligen Salm. Die älteste Tochter der Sozialhilfeempfängerin Marina Storbeck macht die gleichen Fehler, wie ihre Mutter und Großmutter und landet ebenfalls beim Sozialamt. Selbst der Mauerfall hat angesichts dieser Endlosschleife keine Bedeutung. Die meisten Menschen vom Bundesplatz scheinen die Wende nicht wirklich wahrzunehmen.

„Manchmal will ich den Leuten Ratschläge geben“, sagt Tonmann Gumm. Eigentlich dürfe er das nicht. Aber für einige Hauptdarsteller der Filme seien er und Ullrich inzwischen längst zu Beichtvätern geworden. Diese Privatheit schadet dem Film nicht. Gerade die Menschen, mit denen die Filmemacher vertraut sind, öffnen sich auch leichter vor der Kamera. Den meisten Protagonisten aber fehlt der Mut zur Selbstreflexion. Sanft fragen die Filmemacher Ullrich und Gumm nach den Träumen von früher und den Wünschen für die Zukunft. Meist kommen verschiedene Versionen von „Wat soll ick denn sagen?“ oder „Es geht uns doch gut.“

Die Menschen vom Bundesplatz sind meist so genannte „kleine Leute“ – nicht berühmt, haben keine Medienerfahrung. Sie wollen sich nicht selbst darstellen – sie wollen ihr Leben schützen. Mehr als einmal wurde das Kamerateam deshalb auch zu Situationen eingeladen, die inszeniert wirken: Feiern, Parteiversammlungen oder erfolgreiche Geschäftsabschlüsse. „Das merken wir, versuchen dann aber in dieser Situation das Authentische zu filmen“, sagt Gumm der taz. Manchmal gelingt es ihnen, wenn nicht wird es auch schon mal langweilig.

Sprung vor die Kamera

Ein Protagonist der früheren Bundesplatz-Filme hat übrigens den Ausstieg geschafft. Franz Kozmus, 1986 noch Autonomer und Wehrdienstverweigerer. Er machte auf Anregung des Kamerateams eine Ausbildung an einer Filmhochschule. Er hat inzwischen Frau und Kinder. Auch heute noch ist er Teil von Berlin – Ecke Bundesplatz. Allerdings hinter der Kamera, zusammen mit Gumm und Ulrich.

„Recht und Ordnung“, 22.25 Uhr, 3Sat„Vereinigungen“, Mi., 22.25 Uhr, 3Sat