Nach 20 Monaten Geiselhaft wieder frei

Der im August 2002 im Kaukasus entführte Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen, Arjan Erkel, ist wieder zu Hause. Noch herrscht Unklarheit über seine Befreiung. Auch die Rolle des russischen Geheimdienstes wirft weiter viele Fragen auf

BERLIN taz ■ Nach 607 Tagen Geiselhaft in der russischen Kaukasusrepublik Dagestan ist Arjan Erkel, Mitarbeiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF), in seine Heimat zurückgekehrt. Der Niederländer wurde letzten Sonntag durch eine Polizeiaktion in Dagestan befreit.

Erkel war am 12. August 2002 in der Nachbarrepublik Tschetscheniens von Unbekannten verschleppt worden. Dort hatte er sich in der Hauptstadt Makhachkala im Auftrag von Ärzte ohne Grenzen um Flüchtlinge aus Tschetschenien gekümmert. Die Hilfsorganisation beendete nach der Entführung ihres Mitarbeiters ihre Projekte im gesamten Nordkaukasus.

Erkel traf in Begleitung seines Vaters an Bord einer niederländischen Militärmaschine am Sonntagabend auf dem Flughafen in Rotterdam ein, wo er von seiner Mutter sowie dem niederländischen Außenminister Ben Bot empfangen wurde. „Ich habe einen Albtraum überstanden und 18 Kilo Körpergewicht verloren“, sagte der völlig erschöpfte 34-Jährige, der nach der Landung den Boden küsste. Laut seiner Familie will sich Erkel in einem Krankenhaus untersuchen lassen, bevor er in seine Heimatstadt Westdorpe weiterreist.

Vor seinem Rückflug sagte Erkel in Moskau, er fühle sich „fantastisch“. „Ich danke Gott, dass er mich zurück ins Leben geholt hat.“ Zudem bedankte er sich bei seinem Arbeitgeber und bei der niederländischen Regierung, erwähnte jedoch nicht die russische Regierung. Zu Einzelheiten seiner Haft und den Umständen seiner Freilassung beantwortete er keine Fragen.

Auch Außenminister Bernard Bot wollte keine Angaben darüber machen, ob Erkel gewaltsam befreit wurde oder ob Lösegeld bezahlt worden ist. Genauere Angaben könnten die Sicherheit anderer Geiseln in Dagestan gefährden.

MSF hatte die russischen Behörden in den vergangenen Monaten heftig kritisiert. Der Leiter der in Paris ansässigen Hilfsorganisation, Jean-Hervé Bradol, hatte im März behauptet, Russland und Dagestan seien an Erkels Entführung beteiligt. Das Verschwinden des Niederländers sei Teil einer Einschüchterungskampagne, „um Leute zum Schweigen zu bringen, die immer noch über Tschetschenien reden, wo seit einem Jahrzehnt ein Verbrechen von gewaltigem Ausmaß geschieht.“ Die russische Regierung wies sämtliche Vorwürfe zurück.

Sowohl über den Hergang der Entführung als auch die Ermittlungen herrscht nach wie vor Unklarheit. In der Nacht, in der Erkel entführt wurde, verfolgten ihn zwei Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes (FSB). Nach eigenen Angaben waren sie dabei, als Erkel entführt wurde. MSF erhielt darüber hinaus eine Telefonrechnung für Erkels Mobiltelefon, mit dem im vergangenen Jahr mehr als 50-mal telefoniert worden war, doch die Ermittler verfolgten diese Spur nicht. Zudem waren die Untersuchungen sechs Monate eingestellt, ohne dass MSF informiert war. Schließlich wurde der für die Ermittlungen Verantwortliche ohne offizielle Erklärung im Dezember 2003 verhaftet.

Erkel war der zweite MFS-Mitarbeiter, der in Südrussland entführt wurde. Im Januar 2001 war der Amerikaner Kenneth Gluck in Tschetschenien 25 Tage von einer bewaffneten Gruppe festgehalten worden. Auch damals waren Vorwürfe laut geworden, der FSB sei in die Verschleppung verwickelt. LORENZ CLORMANN