Der Osten wird nie eine Chance haben

Objektive Ursachen für den Stillstand Ost zu benennen ist politisch nicht korrekt. Die PDS ist von Rücksichtnahmen frei genug, es zumindest zu versuchen. Von der Wertschöpfung im Osten bleibt nur wenig im Osten, lautet einer der Hauptvorwürfe

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Dass die Probleme der ostdeutschen Wirtschaft etwas mit den Grundregeln der kapitalistischen Marktwirtschaft zu tun haben könnten, darf höchstens die PDS behaupten. Und sie tut das in verschiedenen Papieren ihrer AG Wirtschaftspolitik, die sich teils auf Angaben des Statistischen Jahrbuchs stützen, teils andere unverdächtige Quellen wie das Institut für Wirtschaftsforschung Halle zitieren. Quintessenz der Arbeiten des Ökonomen Klaus Steinitz wie der PDS-AG unter Berthold Kühn: Unter den Prämissen der Vereinigung von 1990 bleibt ein wirtschaftlicher Aufholprozess illusorisch.

Der AG zufolge befinden sich etwa 50 Prozent der Wirtschaftskapazitäten in ausländischer oder westdeutscher Hand. Dabei handelt es sich um die größeren Betriebe und die hoch subventionierten so genannten Leuchttürme, während genuine Ostunternehmen nur selten über Kleinbetriebsgröße hinaus gelangen. In der Folge bleibt nur wenig von der Wertschöpfung im Osten. Gewinne werden in den Westen transferiert, Steuern entstehen am Firmensitz, mögliche Arbeitsplätze auch. Giganten wie AMD, Infineon oder VW am Hightech-Standort Dresden haben den Zusammenbruch der Stadtfinanzen jedenfalls nicht verhindert.

Parallel dazu schwindet der Anreiz, in Ostdeutschland zu investieren: Weder die mit Transfergeldern modernisierte Infrastruktur noch der faktische Lohnverzicht haben den Rückgang der Investitionen aufhalten können. Für lohnintensive Bereiche sind Billiglohnländer attraktiver, die Binnennachfrage kann mit westdeutschen Kapazitäten bewältigt werden.

Steinitz hält das westdeutsche Kapital wegen dieser indirekten Konsumstützung Ost deshalb für den Hauptgewinner der Finanztransfers. Größenordnung: um die 100 Milliarden Euro jährlich. Das trifft sich mit der Analyse von Kurt Biedenkopf (CDU), der als sächsischer Ministerpräsident auf den Rückfluss von etwa vier Fünfteln der Transfers hingewiesen hatte.

Forderungen der Arbeitgeber nach weiterem Lohndumping Ost hält die Dresdner AG Wirtschaftspolitik allein schon deshalb für demagogisch, weil die Quote der Arbeitsentgelte außerhalb des Dienstleistungssektors ständig sinkt. Derzeit liegt sie unter 17 Prozent. Kühn fordert deshalb sogar Lohnerhöhungen.

In beiden Papieren wird mit einem weiteren Schwindel aufgeräumt – dem von der angeblichen Produktivitätslücke von 30 Prozent: In die Berechnung der Produktivität als Bruttoinlandsprodukt je Einwohner gehen die Löhne maßgeblich mit ein. Somit tritt der groteske Zirkelschluss ein, dass niedrigere Löhne mit niedrigeren Löhnen begründet werden. Die „physische Produktivität“, so Kühn, habe die westdeutsche überwiegend erreicht. Folglich könnten sich zumindest die Töchter westdeutscher Unternehmen allemal höhere Lohnzahlungen leisten.

Wahrscheinlich zu optimistisch beurteilen die PDS-Wirtschaftler allerdings die Auswirkungen von Lohnsteigerungen auf die Binnennachfrage. Erfahrungsgemäß legt der Bürger das Geld derzeit lieber aufs Konto. Davon aber hat die Ostwirtschaft wenig, weil die attraktiven Kreditinstitute mit Ausnahme der Sparkassen im Westen sitzen.

Die Alternative eines künftigen „Entwicklungspfades Ost“ klingt in den PDS-Papieren allerdings wenig energisch. Das auswärtige Kapital hat kein Interesse an einer Änderung, wie auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit Blick auf Investitionen feststellen musste. „Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass noch umgesteuert werden kann“, so Kühn zur taz. Auch Steinitz nahm schon 2002 Abschied vom Ziel einer Angleichung der wirtschaftlichen Leistungsindikatoren. Zwar verwendete er nicht den Begriff „Sonderwirtschaftszone“, plädierte aber für eine besondere ostregionale Wirtschaftspolitik. Die Vorschläge vor allem der Dresdner AG zielen auf eine Stärkung der endogenen Potenziale, basierend auf Bildung und Innovation. Regionale Wirtschaftskreisläufe, die im „Kolonialverhältnis“ West/Ost zumindest den erzeugten Mehrwert im Lande ließen, wären ein Erfolg. In der Konzentration der Förderung auf Schwerpunkte treffen sich die Vorschläge sogar mit der aktuellen Diskussion.