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: Auf seinem Mix für die Reihe „DJ-Kicks“ bricht Erlend Øye die Regeln des Discjockeys: Er singt

Irgendwann verkommt jede Musik zu Sport. Hardrock zum Beispiel führte den Rock ’n ’Roll in eine ganze Olympiade um die schnellsten Gitarrensoli, den am schrillsten kreischenden Sänger und das größte Schlagzeugset. Die Folgen sind offensichtlich: Hören möchte das niemand, wenn Schönheit bloß von erfüllbaren Regeln geleitet wird. Denn wo bleibt denn da das Unberechenbare, ja wo bleibt denn der Kick bitte?

Auch House und Techno existieren mittlerweile so lange, dass sich längst ein hohes Sportgericht gebildet hat. „Der DJ ist nicht befugt, als menschliches Wesen in Erscheinung zu treten“, so lautet dessen oberste Maxime. Das hat etwas zu tun mit den Vorgeschichten der Musik, mit Kraftwerks Antihumanismus und auch diversen Detroiter Alien-Mythen. Lange Zeit ging das gut, was hätte den heroischen Hedonismus der Tanzflächen mehr fördern können als die Vorstellung, man tanze zu den Tracks eines Roboters oder Außerirdischen?

Allerdings stellen sich mittlerweile dann doch zu viele Leute mit ernster Miene hinter die Plattenteller und versuchen sich angestrengt am Prinzip des „Don’t Stop The Beat“. Sie wissen nicht, warum; der Club ist ihnen Trainingslager für Techno-Sport, House-Gymnastik. Es wird Zeit, mal wieder die Regeln zu brechen.

Erlend Øye zeigt auf seinem Mix für die Compilation-Serie „DJ-Kicks“, wie das gehen kann. Dabei verletzt der in Kreuzberg nahe dem Kotti lebende Norweger sogar das Grundgesetz des DJ-Wesens: Er tritt als Mensch in Erscheinung. Er singt. Erstaunen kann das nicht, denn schließlich ist der Mann mit der Brille zunächst mal Sänger. Als er vor zwei Jahren hierher zog aus Bergen, da galt er bereits als Indiepop-Star. Zusammen mit seinem Freund Eirik Glambek Bøe hatte er unter dem Bandnamen Kings Of Convenience ein Monument juveniler Empfindsamkeit errichtet. Eine Platte, so monumental melancholisch, dass ihr Titel in ganz Europa in die Umgangssprache einging: „Quiet Is The New Loud“. Sie lebte von ein paar Akustik-Saiten und Øyes Singen, so leise und erfüllt von einer Sehnsucht nach etwas Unerreichbarem.

Auf seinen „DJ-Kicks“ setzt Erland Øye diese Stimme für ein „Magnificent Singing DJ-Set“ ein. So heißen seine Shows, bucht man ihn für die Plattenteller. Die Eröffnung ist eine Hymne, Jürgen Paapes „So weit wie noch nie“ führt eben dahin, und dann zeigt der singende Discjockey, was er unter einem Übergang versteht: Über das Instrumental von „Fine Night“, einem verträumten House-Hit, singt er einen eigenen Text.

So geht der Mix weiter: Øye singt „If I Ever Feel Better“ und lässt Phoenix, die Schreiber des Stücks, in einer anderen Tonart übernehmen; Øye zitiert die alten Techno-Mythen in einem Text namens „Intergalactic Autobahn“; zitiert die Smiths, indem er über einen Track seiner Freunde Röyksopp die Refrainzeilen eines Smith’-Stücks singt: „There’s A Light That Never Goes Out“.

Die Auswahl, und auch das bricht die Regeln, sie ist ganz und gar nicht exklusiv. „Entweder man kennt kein Stück, oder man kennt sie alle“, sagt Øye selbst über die Compilation, wohl wissend, damit schon wieder eine Regel zu brechen. Doch indem Øye die Tracks so lässig mittels seiner Stimme verwebt, schafft er Licht und Luftigkeit, und Luft ist Grundvoraussetzung des Tanzens. Es ist ein mundgerechter DJ-Mix für die schimmernde Zeit der Baumblüte.

CHRISTOPH BRAUN

Erland Øye: „DJ-Kicks“ (!K7/ Rough Trade). Erscheint kommenden Montag, 19. April