Der lehrreiche Gauner im Klassenzimmer

Rapper Gauner hilft Kids beim Reimen. DJ Nice vermittelt Taktgefühl. Und Breaker Imran zeigt den Helikopter. Die Mitarbeiter des HipHop-Mobils üben mit Schülern Jugendkultur – und unterstützen deren Lehrer, die davon keine Ahnung haben

von THOMAS JOERDENS

„Ich hab zwa kein Bock drauf, aber bin gut in Mathe / und werf bei Bowling immer eine Ratte / In der Schule liegen lauter Sachen / darüber kann ich nur lachen.“

Die Rechtschreibung holpert, der Sinn bleibt verborgen, doch der Reim sitzt. Und auf den Reim kommt es an und auf den Rhythmus. Der schleppt zwar. Aber Jascha rapt seinen Vierzeiler auf den Ghettoblastersound so, bis die Worte lang genug sind – irgendwie. Später wiederholt der Zehnjährige mit der tief in die Stirn gezogenen Strickmütze seinen Text vor der ganzen Klasse und kassiert Applaus. Wie die anderen, die sich trauen, ihre frisch gedichteten Sechs-, Acht- oder Zehnzeiler rhythmisch ins Mikro zu rappen über Schule, Türken, Reiche oder Größenwahn: „Ich bin der beste Rapper und ich meine es so.“ Kommt vielleicht noch.

Die Leute vom HipHop-Mobil sähen das gern. Rapper Gauner, DJ Nice und Breaker Imran packen um kurz nach 13 Uhr ihren Kram wieder zusammen: Plattenspieler, Mixer, Boxen, Verstärker, Mikro, Kopfhörer. Der HipHop-Workshop an der Havelland-Grundschule in Schöneberg ist vorüber. In den vergangenen drei Stunden haben 20 Jungen und Mädchen ein bisschen über die Ursprünge des HipHop gehört und vieles selber ausprobiert.

Während Gauner im zweiten Stock den Kindern beim Reimen über die Schulter blickt und mit passenden Worten auf die Sprünge hilft, patschen andere Fünftklässler zwei Räume weiter auf rotierende Schallplatten. Alle sollen ran an die „Turntables“ und versuchen, die Vinylscheiben im richtigen Moment loszulassen, anzuhalten, zurückzudrehen. Im ersten Durchgang wird gescratcht, im zweiten ein Stück in ein anderes gemixt und ständig von eins bis vier gezählt.

„Taktgefühl ist das wichtigste. Ich will ein Gefühl für Platten vermitteln und klar machen, wie schwer DJing ist“, sagt der 22-jährige DJ Nice. Er mischt seit 1994 in der HipHop-Szene mit und übte zwei Jahre im Kinderzimmer, bevor er sich traute, in Klubs aufzulegen.

Aus dem Erdgeschoss kommt ein Junge die Treppe hoch gelaufen und ruft atemlos: „Breakdance ist geil!“ Unten hüpft Imran mit den Kindern zunächst locker übers Linoleum und bringt ihnen anschließend die sechs Schrittfolgen für den Sixstep bei. „Erst hab ich gedacht, das kann ich nicht. Und dann ging das ziemlich gut“, freut sich die zehnjährige Thea. Vivi, Suse und Luisa strahlen ebenfalls aus verschwitzten Gesichtern. Nach 45 Minuten schnauft der 19-jährige professionelle B-Boy selber schwer. Die Schüler wollen zum Schluss unbedingt den „Helikopter“ sehen. Imran wirbelt die Beine in die Luft, balanciert mit den Händen auf dem Boden und dreht sich schnell im Kreis. Die Kleinen kreischen begeistert.

„Wir zeigen den Kindern, dass HipHop vor allem Selbermachen bedeutet. Das hält manche vielleicht auch davon ab, auf der Straße rumzuhängen oder kriminell zu werden“, meint Gauner, der seit 15 Jahren rapt und sich vor sechs Jahren ans Steuer des HipHop-Mobils setzte. Er visiert als Zielgruppe hauptsächlich Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahre an. Den Großen könne er mehr beibringen, weil diese häufig schon mehr Verständnis für Musik besäßen.

Grundschullehrerin Chantal Chelli-Zenner betrachtet die HipHop-Mobilisten trotzdem als Bereicherung des Lebenskunde-Unterrichts. Auf dem Lehrplan steht dieses Schuljahr unter anderem Jugendkultur. HipHop-Filme schauen und Rap hören sei wichtig, aber kreativ sein auch, meint die Pädagogin. Die Kinder müssten ihre übliche Konsumhaltung aufgeben, würden HipHop und dessen Bedeutung verinnerlichen. Die Lehrerin denkt an Sprache, Sozialverhalten, Kultur, Gesellschaft.

Der Plan heißt: Die Schüler dort abholen, wo ihre Interessen liegen und diese dann mit pädagogischen Inhalten füllen. Die Hoffnung: Rappende Kinder setzen sich intensiver mit ihrer Sprache und Kultur auseinander sowie kritisch mit der Gesellschaft. Außerdem lernen sie friedliche Formen der Konfliktlösung. Ein verbaler Rap-Battle ist besser als eine handfeste Messerstecherei.

Zwar kommt bei Gauner und Co die gesellschaftliche Dimension etwas kurz, kritisiert Chantal Chelli-Zenner im Nachhinein. Diese Lücke schließt sie aber im Unterricht mit entsprechendem Deutsch-Raps aus der Konserve. Außer im HipHop-Workshop sammeln die Schüler auch woanders „lebenspraktische Erfahrungen“. Die Kinder besuchen mit ihrer Lehrerin manchmal das Grips-Theater und üben mit Schauspielern in Rollenspielen die gewaltfreie Beilegung von Streitereien. Und wenn es in der Havelland-Grundschule Ärger gibt, sind gleichaltrige Konfliktlotsen zur Stelle. In diesem großen pädagogischen Ganzen bildet das HipHop-Mobil einen rollenden Baustein.

Dabei verstehen sich Gauner und die übrigen HipHopper, die der 29-Jährige für die Workshops engagiert, nicht als Sozialarbeiter. Sie unterstützen als aktive Spezialisten in Sachen HipHop solche Lehrer, die ihren Schülern Subkultur näher bringen wollen, davon aber keine Ahnung haben. Die HipHop-Crew besucht seit 1993 Schulen in Berlin und Brandenburg. Auf Wunsch bringen die HipHopper auch ein mobiles Aufnahmestudio mit. Zu den jährlich fast 50 Terminen gehören auch mehrtägige Graffiti-Workshops in Jugendzentren sowie Fortbildungen für Pädagogen und manchmal Touren ins Ausland. Der Senat sponsert neben dem HipHop-Mobil noch drei Rock-Mobile. Die HipHopper waren schon in England, Frankreich, Dänemark, Russland, Kamerun. „Egal, wo du hinkommst, es ist überall gleich gut“, meint Gauner.

Weitere Informationen zum HipHop-Mobil (c/o Alte Feuerwache, Axel-Springer-Straße 40/41) gibt es im Internet (www.hiphop-mobil.de), per E-Mail (info@hiphopmobil.de) oder telefonisch unter 25 39 92 87. Ein Workshop kostet 1 Euro pro Schüler