: Die eigene Aura der Technik
Alex Kolkowski arbeitet mit historischen Aufnahme- und Wiedergabegeräten. Mit „Recording Angels“ hat er das Spiel mit Original und Wiedergabe auf die Bühne verlegt
Als das deutsche Fernsehen vergangenen Samstag bislang unbekannte Farbaufnahmen des WM-Endspiels von 1954 zeigte, rebellierte einer der anwesenden Altmeister: Die Fünfzigerjahre seien ein schwarzweißes Jahrzehnt gewesen, der Wunsch, diese Ära nachträglich zu kolorieren, erscheine ihm unstatthaft. Das ist natürlich absurd. Die Welt hatte, deutscher Nachkriegsschwermut zum Trotz, ihre Farben ja nicht einfach abgelegt.
Man stelle sich andererseits vor, es gelänge Fetischisten des modernen Studiosounds, Originalaufnahmen der Stimme Enrico Carusos von Störgeräuschen zu befreien und das matte Spektrum digital aufzufrischen: Man würde es gar nicht erst hören wollen, so sehr ist die Stimme des Tenors an das schleifende Rauschen des Schellacks gekoppelt. Und auch hier könnte man einwenden, dass die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts kaum im Monoklang durchlebt wurden. Aber der Verweis auf verknisterte Erinnerungen lässt wissen, wie tief sich uns technischen Restriktionen als Gedächtnis eingebrannt haben.
„Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura“, hatte Walter Benjamin in den Dreißigerjahren konstatiert. Er scheint die der Technik eigene Aura übersehen zu haben. Denn an die Stelle, an der die technische Reproduktion das Kunstwerk beschneidet, tritt offenbar etwas anderes, das die Reproduktion mit historisch-ökonomischem Makel markiert. Hat Benjamin sich also geirrt?
„Hat er nicht“, lenkt Alex Kolkowski ein. Benjamin habe seinerzeit ganz richtig geurteilt, aber das Altern der Technik eben noch nicht reflektieren können. Kolkowski, britischer Violinist und Komponist, lebt in Berlin. Seit einigen Jahren konzentriert er sich auf die Arbeit mit historischen Aufnahme- und Wiedergabegeräten: mit Fonografen, Grammofonen, Schellackplatten und Wachszylindern. Vor drei Jahren erschien die CD „Portrait in Shellac“, die er mit der 1899 patentierten Strohvioline einspielte, einer Geige, bei der der Korpus durch Membran und Schalltrichter ersetzt wird.
Seit nunmehr einem Jahr konzentriert Kolkowski sich auf das Spiel mit Original und Wiedergabe, indem er den Aufnahmevorgang vom Studio auf die Bühne verlegt. Während Musiker vor monströsen Schalltrichtern aufspielen, befreit Kolkowski den rotierenden Aufnahmezylinder pinselnd vom schabenden Wachs, um das unlängst Vernommene mit der verstörenden Patina der frühen Moderne wieder abzuspielen.
Nostalgie, Kabinett und technische Spielerei also, möchte man einwenden. Aber Kolkowskis Zugang zu diesen Techniken ist ein anderer. Ursprünglich an live-elektronischen Verfahren der Klangbearbeitung interessiert, merkte er bald, dass der Unterschied zwischen Elektronik und einem Wachszylinder kein grundsätzlicher ist. Beide kommentieren den Originalklang, indem sie ihre Spuren auf ihm hinterlassen. Gemeinsam mit sechs Sängern und Stimmkünstlern hat Kolkowski jetzt ein abendfüllendes Programm erarbeitet: „Recording Angels – voices & etchings“.
Die einzelnen Stücke bewegen sich zwischen komponiertem Lied, freier Improvisation und spielerischer Szene, in der die Musiker ihre Erinnerungen an die Aufnahmesituation reflektieren. Und sie spielen dabei mit den Zwängen, die die Maschinen ihnen auferlegen. Denn die grobe Nadel und das weiche Wachs erfassen nur ganz bestimmte Klänge: kräftige und tragende Töne im mittleren Register. Ein komponierter Kommentar sei das Stück geworden, erklärt Kolkowski: Wie machen und hören wir Musik? Wie verhält Technik sich zur Kunst? Und ist Musik auf Schallplatte wirklich „Freiheit, die die Maschine mit andächtigem Rauschen begleitet“, wie Adorno 1927 behauptete?
BJÖRN GOTTSTEIN
Morgen, 20.30 Uhr, Staatsbank, Französische Straße, Mitte
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