Warten auf die Friedenstruppe

In der nordostkongolesischen Stadt Bunia herrscht Entsetzen über die jüngste Gewalt. Flüchtlinge erwarten sehnlichst die Ankunft der von Frankreich geführten Friedenstruppe, während das Gerücht über einen Angriff der Lendu-Miliz kursiert

Angehöriger eines Opfers: „Ich kenne die Täter, sie laufen in Bunia frei herum“

aus Bunia ILONA EVELEENS

Mehr als vierzig Stangen Dynamit stehen in einer Ecke eines geplünderten Gebäudes. Ein Junge mit Zigarette im Mundwinkel klettert duch ein kaputtes Fenster herein. Er findet einige Zünder und spielt damit. „Damit kann ich eine Bombe machen“, sagt er fröhlich. Die UNO-Truppen in der Demokratischen Republik Kongo (Monuc) wissen von den anderthalb Tonnen Dynamit in dem Gebäude in der Nähe des Marktes. „Nach den Kämpfen fanden wir einen Teil des gestohlenen Dynamits und vernichteten es. Aber der Eigentümer gab uns keine Erlaubnis, den Rest zu vernichten, und wir haben nicht genug Soldaten, um das Gebäude zu bewachen“, erzählt eine hoher Monuc-Militär, als er davon informiert wird, dass das Gebäude wieder geplündert wurde.

Die 700 größtenteils uruguayischen UNO-Soldaten kontrollieren nur den kleinen Flugplatz bei Bunia und das Monuc-Hauptquartier im Stadtzentrum. Während der Kämpfe zwischen den Milizen der Hema- und Lendu-Bevölkerungsgruppen waren die Soldaten machtlos. Ihre Zahl ist zu klein, und ihr Mandat lässt ein Eingreifen nicht zu. Sie können nur sich selbst und die UNO-Beobachter schützen. Allein im Mai starben 300 Kongolesen, zehntausende flohen.

Seit dem Waffenstillstand vom 17. Mai kontrolliert die Hema-Miliz „Union der Kongolesischen Patrioten“ (UPC) die Stadt. Die Lendu-Kämpfer zogen sich aufs Land zurück. Aber in Bunia ist es noch nicht sicher, wie einige Mitarbeiter von Hilfsorganisationen erfuhren. Sie wurden in ihrem Haus von einer schwer bewaffneten Gruppe betrunkener Hema überfallen. „Sie forderten tausend Dollar von jedem von uns. Die hatten wir natürlich nicht, und so schlugen sie uns Männer mit ihren Waffen. Ein 16-jähriges Mädchen vergewaltigten sie mehrfach. Wir verstehen das nicht. Wir sind Hema genau wie die Angreifer“, sagt einer der Betroffenen.

In das kleine und überfüllte Lager neben dem Monuc-Hauptquartier haben sich mehr als tausend Menschen geflüchtet. Sie können die Ankunft der 1.400-köpfigen Friedenstruppe unter französischer Führung kaum erwarten. Yusuf Litete, 35, sagt: „Ich traue mich hier nicht weg. Ich war dabei, als Hema-Milizen meinen Bruder töteten. Ich weiß nicht, warum. Wir sind keine Lendu, sondern Nande. Ich kenne die Täter, sie laufen in Bunia frei herum.“

Im Hema-Viertel Muzipela ist die Spannung spürbar. Die meisten Bewohner meinen, ihre Milizen hätten sich nur gegen die Lendu gewehrt. Nahe der Kirche ist ein kleiner Sandhügel mit vertrockneten Blumen. Darunter befindet sich ein Massengrab. Der Soziologe Pilo Kamara meint: „Hier fand ein Völkermord statt. Die Lendu haben eine Grenzlinie auf der Straße gezogen. Wir Hema mussten uns auf einer Seite aufstellen, alle anderen auf der anderen.“

Zwischen Hema und Lendu gab es in der Provinz Ituri schon früher Landkonflikte. Die Hema sind ein Hirtenvolk, die Lendu Bauern. Die Konflikte wurden blutiger, als Truppen aus den Nachbarländern Uganda und Ruanda 1998 im Ostkongo intervenierten, um dort Rebellen beim Aufstand gegen die Regierung in Kinshasa zu unterstützen. Ruandas und Ugandas Militärs beteiligten sich auch an der Ausplünderung der Bodenschätze im Ostkongo. Im an Gold und Diamanten reichen Ituri wurde vor kurzem auch Öl entdeckt. Als sich die einstigen Allierten Uganda und Ruanda zerstritten, bewaffneten sie Milizen der Lendu und Hema. Seitdem sich die Truppen der beiden Nachbarländer aus dem Kongo zurückgezogen haben, kämpfen Hema- und Lendu-Milizen stellvertretend um Macht und Bodenschätze.

Der in einen dunklen Anzug gekleidete UPC-Führer Thomas Lubanga will das Image seiner Miliz aufbessern, indem er seine Kindersoldaten von den Straßen verbannt. „Nach Gesprächen mit Monuc haben wir beschlossen, uns aus der Stadt zurückzuziehen. Aber wir liefern unsere Waffen nicht ab“, sagt er. „Die ausländischen Truppen sind auf uns angewiesen. Wir kennen schließlich jeden in der Stadt.“ Die UPC will 700 Kämpfer als Leibgarde für ihre Führung in der Stadt behalten.

Inzwischen versuchen Bunias Bewohner wieder ihren Alltag aufzunehmen. Immer mehr Verkäufer erscheinen auf dem noch überwiegend verlassenen Markt. Aber auf den umliegenden Hügeln sind oft dicke Rauchwolken zu sehen. Was sich dort abspielt, kann niemand mit Gewissheit sagen. „Dort brennen Häuser von Lendu“, sagt ein Zigarettenverkäufer. „Es gibt ein starkes Gerücht, dass die Lendu-Milizen sich um Bunia sammeln. Sie wollen noch vor Ankunft der ausländischen Truppen angreifen.“