bücher aus den charts
: Hokuspokus fidibus

Müßig, die Erfolgsgeschichte von Harry Potter noch mal zu erzählen: Weltweit wurden mehr als 400 Millionen Exemplare verkauft. Jeder vierte Deutsche über vierzehn hat, wenn man den Statistiken glaubt, mindestens einen der sieben Bände gelesen. Was die Pottermaniacs fassungslos machen dürfte: Bis heute gibt es Menschen, die haben das nicht getan. Nicht einen Band. Noch nicht mal rein- oder quergelesen.

Klar. Man könnte jetzt ernsthaft nach Gründen für dieses rabenschwarze Potter-Loch suchen (Abwehrreaktion gegen Hypes wäre schon mal einer, nur zum Beispiel). Oder aber man schaut sich die interessante Konstellation an, die sich daraus ergibt: Was passiert, wenn jemand, der während eines Jahrzehnts den Anschluss an die Potter-Faszination nicht geschafft hat, nun so eine Art Urgeschichte des Ganzen präsentiert bekommt?

„Die Märchen von Beedle dem Barden“, die – müßig zu erwähnen – unmittelbar auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste geschossen sind, sind eine reale Auskopplung aus der fiktiven Potter-Welt. Nach dem Ende der Potter-Saga präsentiert Rowling nun die Märchen, die – Potterianer wissen das – in keiner Kindheit eines Zauberers fehlen durften. Harry selbst sollen sie im finalen Kampf gegen seinen Widersacher Lord Voldemort geholfen haben. Sicher stimmt, was auf dem Klappentext zu lesen ist: „Eine Sternstunde für Millionen von Potter-Fans“. Man muss allerdings nicht ketzerisch sein, um zu prophezeien, dass jede Meldung aus dem Potter-Universum zu Glücks- und Kaufräuschen führen würde.

Was aber passiert nun mit denen, die nach konsequenter Potter-Enthaltsamkeit die „Märchen von Beedle dem Barden“ lesen? Ums kurz zu machen: nicht viel. Weder sonderlich geheimnisvoll noch unheimlich, noch mit irgendeinem Witz oder Dreh versehen sind diese kurzen Geschichtchen aus der Zauberwelt. Flaue Lehrstücke, die zu Bescheidenheit, Redlichkeit und dem, was noch so zur moralischen Grundausstattung gehört, mahnen. Kommentiert werden sie von Albus Dumbledore, dem Direktor der Zauberschule Hogwarts. Immerhin sind diese Kommentare etwas überraschender als die Märchen selbst, das Prinzip der durch einen fiktiven Herausgeber suggerierten Authentizität haut einen, was seine Originalität angeht, aber auch nicht gerade von den Socken.

Wenn dieser schmale Band tatsächlich so eine Art Essenz des ganzen Potter-Kultes sein soll, dann ist der nicht nur relativ schmalbrüstig. Es stellt sich auch nach wie vor die Frage, was denn nun das Faszinierende an dieser Zauberwelt sein soll und wieso gerade die so viel über die Gegenwart erzählen kann, wie es ja von ihren Verfechtern immer wieder heißt.

Sei’s drum. Potter ist Pop. Und deshalb ist vor allem das Bohei interessant, das schon vorab auch um dieses Büchlein gemacht wurde. Sieben handgeschriebene Exemplare hat Rowling angefertigt, in Leder binden und mit Halbedelsteinen besetzen lassen. Sechs hat sie auserwählten Menschen zugedacht, die ihre Arbeit begleitet haben. Das siebte ist bei Sotheby’s versteigert worden.

Das kann man albern finden oder größenwahnsinnig. Der Erlös allerdings ist einer von Rowling gegründeten Stiftung für Heimkinder zugeflossen, wie auch alle Honorare aus den übrigen Verkäufen. Wenn Kult und Charity auf diese Weise einhergehen, dann muss man eigentlich über den literarischen Wert und Sinn auch nicht mehr groß streiten. Bisschen nervig ist dieser ganze Hokuspokus aber irgendwie schon. WIEBKE POROMPKA

Joanne K. Rowling: „Die Märchen von Beedle dem Barden“. Aus dem Englischen von Klaus Fritz. Carlsen Verlag, Hamburg 2008, 128 Seiten, 12,90 Euro