Freier Flug für die schnellen Neutronen

In Garching bei München hat der umstrittene Atom-Forschungsreaktor FRM II den Betrieb aufgenommen

MÜNCHEN taz ■ Verbraten. Schönes Wort, und irgendwie passt es zum politischen und sprachlichen Stil von Edmund Stoiber. Satte 68 Millionen Euro seien „unnötig verbraten“ worden, polterte der bayerische Ministerpräsident gestern, als er in Garching, wenige Kilometer nördlich von München, den umstrittenen Atom-Forschungsreaktor FRM II per Knopfdruck in Gang setzen durfte. Schuld an der Verschwendung sei das Bundesumweltministerium, dass diesen „Meilenstein für Wissenschaft und Wirtschaft in Bayern“ durch zu lange Prüfungen blockiert habe.

Dabei hat Stoiber offenbar vergessen, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch international erhebliche Kritik am Prestigeprojekt der Technischen Universität München laut wurde. Es ging vor allem die Frage, ob ein Betrieb mit hoch angereichertem Uran (HEU) für Forschungszwecke unbedingt notwendig sei. Denn aus dem zu mindestens 93 Prozent angereicherten Material, das nun in Garching verwendet wird, lässt sich ohne größere Schwierigkeiten der Rohstoff zum Bau von Atomwaffen gewinnen. Zahlreiche Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahren darauf hingewiesen, dass vergleichbare ausländische Forschungsreaktoren mit leicht angereichertem und nicht atomwaffentauglichen Uran arbeiten oder darauf umgerüstet werden. Genau das haben Verantwortliche der TU München stets ebenso vehement bestritten wie die bayerische CSU-Landesregierung. Ihrer Ansicht nach liefert nur HEU einen ausreichend hohen Neutronenfluss, um bahnbrechende Experimente an Teilchenbeschleunigern durchzuführen oder um als hoch präzises Messinstrument für die Materialforschung dienen zu können. Im Wettstreit der Gutachter siegten die Betreiber: Im April erteilte Bundesumweltminister Jürgen Trittin nach jahrelangen Bedenken die Genehmigung für den ersten deutschen Reaktorneubau seit Tschernobyl – allerdings mit der Auflage, dass FRM II bis spätestens 2010 auf nicht atomwaffentaugliches Uran umgestellt werden muss.

Widerstand gegen den Forschungsreaktor kommt noch von der Initiative „Bürger gegen den Atomreaktor Garching“, die gemeinsam mit dem Bund Naturschutz und den „Müttern gegen den Atomkrieg“ gegen das Projekt klagen wird – auch wegen großer Sicherheitsbedenken. JÖRG SCHALLENBERG