Band mit Eigenschaften: „Incubus“ in der Sporthalle
: Anarchie aus der kalifornischen Protzvilla

„Tanz den Adolf Hitler!“, mag so mancher in Anlehnung an den Neue-Deutsche-Welle-Hit von DAF gedacht haben, als der aktuelle Videoclip der amerikanischen Rockband Incubus über die Musikkanäle lief. Hitler und Stalin toben in „Megalomaniac“ als kollageartige Fetzen durch ein wildes Szenario in Grau, das bei den putzigen Kurzanimationen von Monty Python abgeguckt ist. Auch ein Bush-Look-alike ist nur schwer zu übersehen: „Wash your hands clean of yourself, baby / step down! / step down!“, prustet Sänger Brandon Boyd seinem ungeliebten Präsidenten entgegen.

Das amerikanische MTV musste das Video in die Nachtrotation verschieben, so aufgekratzt reagierte ein Volk, das sich gerade erst von Janet Jacksons Brustwarzen mühsam erholt hatte. Amüsiert über die nationalen Befindlichkeiten legt Gitarrist Mike Enzinger nach: „Ich hasse die Art, wie Bush redet. Ich hasse die Art, wie er nichts sagt. Ich hasse sogar die Art, wie er herumsteht.“

Laute Töne in einem Land, das selbst Folkdiven wie die Dixie Chicks in die Verbannung jagte, weil sie die Politik von Double-U nicht mochten und das auch noch sagten. Es scheint, dass die fünf Endzwanziger von Incubus wie trotzige Jungs der Musiköffentlichkeit zum Fraße gegeben haben, was bei ihnen stets so mäkelig eingeklagt wurde: Image, Kontur, Bekenntnisse. Denn: „besondere Eigenschaften: keine“, wurde ihnen im Laufe ihrer zwölfjährigen Karriere gerne hinterhergeätzt.

In Calabasas, einem Nest im kalifornischen San Fernando Valley, fangen sie in der zehnten Klasse an, Musik zu machen, spielen auf Partys und in kleinen Kaschemmen rund um Los Angeles. Das Lied „Drive“ markiert dann die Zäsur. Die Ballade läuft 2001 so gut auf den Musikkanälen, dass erstmals ein genaueres Hingucken auf die fünf eigensinnigen Jungs stattfindet, verbunden mit der aufgeregten Erkenntnis, hier vielleicht die Speerspitze einer kreativen Rockbewegung vor sich zu haben. Das folgende Album Morning View bestätigt die Ahnungen. Es ist eine hervorragend geschriebene, blank gewienerte Komposition. Kritiker feiern. Vor einigen Wochen ist nun das Studioalbum A Crow Left To The Murder erschienen. Erneut loten sie dort ihr Faible für feine, vertrackte Rhythmen aus, für funkige Gitarren und Feinsinnigkeit in den Songarrangements – zu denen live natürlich auch kräftig gehüpft werden darf. Textlich gibt sich Brandon Boyd verdrießlich gegenüber Popstar-Phänomenen und überdrehten Promiwahn: „You‘re no Jesus / you‘re no fucking Elvis / you‘re no answer“, schreit er in „Megalomaniac“ aus sich raus.

Absurderweise findet dieses Album ein Maß an Beachtung, dass sich der Junge demnächst in eben jener Position wiederfinden wird. Schön genug für die Yellowpress ist der Sohn des 70er-Jahre-Models, Clubbesitzers und Schauspielers Chuck Boyd allemal. Gerne gibt er sich spirituell angehaucht, schreibt detailverliebte Texte über die Gesellschaft im Allgemeinen, die Mediengrütze, die Macht des Staates, das Stürzen von Führern – die ganze Schose halt. Auf seinen schwarzen „Converse“-Schuhen hat er das Logo übermalt und seiner Freundin, dem Model Carolyn aus dem Süden Floridas, mit der Ballade „Southern Girl“ eine herzerweichende Liebeserklärung geschrieben.

Auch ansonsten geht es Incubus gut. Unvoreingenommen wie eh und je stellen sie bei MTV‘s Hausbesuchsshow „Cribs“ den Hort ihrer Kreativität vor: Die fünf Jungspunde leben und arbeiten in einer spießigen Protzvilla, in der gerade mal ein randvoller Bierkühlschrank daran erinnert, dass hier kein Staatsanwalt im Ruhestand lebt.

Volker Peschel

Freitag, 20 Uhr, AlsterdorferSporthalle