Kardinal schlitzohrig

Lehmann will sich nicht in Gesundheitspolitik einmischen – und tut es doch. Mehr „Eigenverantwortung“ gefordert

BERLIN taz ■ Jetzt fordert es auch die katholische Kirche: mehr Eigenverantwortung im Gesundheitswesen. Gestern präsentierte Kardinal Karl Lehmann die neueste gesundheitspolitische Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz. Auf 27 Seiten werden vor allem „ethische Kriterien“ entwickelt, auf konkrete politische Aussagen verzichtet man hingegen bewusst. Die Schrift „Solidarität braucht Eigenverantwortung“ soll ganz ausdrücklich „kein Kommentar“ zu den Reformplänen der Bundesregierung“ sein.

Nun haben „ethische Kriterien“ die Tendenz zum Allgemeinen. Was „Eigenverantwortung“ heiße, wurde mehrmals gefragt. Ob etwa der Selbstbehalt bei Medikamenten steigen solle? Aber so Konkretes mochte Lehmann nicht nennen. Er wolle „die fundamentale Bewusstseinsbildung nicht zu eng führen“.

Auch beim Thema Krankengeld blieb der Kardinal vage, doch schien er es letztlich zu begrüßen, dass diese Versicherungsleistung künftig nur noch von den Arbeitnehmern aufzubringen ist: „Auch die Beschäftigten müssen daran interessiert sein, dass die Unternehmen Gewinne machen und die Lohnnebenkosten sinken.“

Zu solchen Doppeldeutigkeiten passt, dass Lehmann gestern vom Internationalen Club der Schlitzohren für den Ehrenpreis „Goldenes Schlitzohr 2002“ nominiert wurde. Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung findet Lehmanns Äußerungen allerdings nicht amüsant. „Wir lehnen einen Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung ab“, sagte KAB-Bundessekretärin Renate Müller der taz. Auch monierte sie, dass „unklar“ bleibe, welche Leistungen künftig von den Kranken zu finanzieren seien. Denn in der Schrift heißt es wolkig, dass für „andere tragbare Risiken“ gelten könne, was bei Erkältungskrankheiten schon Standard ist – sie sollen nicht mehr krankenversichert sein.

Aber die katholischen Arbeitnehmer entdecken auch Positives im Papier ihrer Kirchenspitze. So „begrüßt“ man, dass Leistungen teilweise steuerfinanziert sein sollen. Damit könnte die „zunehmende Verabschiedung gut Verdienender aus den gesetzlichen Krankenkassen“ ein wenig kompensiert werden.

Deutlich wurde Lehmann bei einer Personalie: Er distanzierte sich vom katholischen Theologieprofessor Joachim Wiemeyer, der im ARD-„Report“ vorgeschlagen hatte, medizinische Leistungen für Alte zu beschränken. „Wir sind empört“, so Lehmann. Nach einem Gespräch mit Wiemeyer am 11. Juni soll entschieden werden, ob er weiter als Berater der bischöflichen Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen tätig sein kann. U. H.