Cool und Klappe

Zu starr, reserviert und wenig von sich preisgebend: „Red Stars“, ein Gastspiel der JugendTheaterWerkstatt Spandau, setzt bei seinem Gastspiel im Malersaal des Schauspielhauses auf ein hysterisches Mädchen und coole Jungs, denen angesichts seelischer Wunden allenfalls Vernünftiges einfällt

von Katrin Jäger

Chrissy (Sabine Dotzer) ist jetzt so 17 Jahre alt. Ihr Stiefvater Karl (Lutz Hartmann) hat sie sexuell missbraucht, schon mit acht hat sie sein „salziges Joghurt“ schlucken müssen. Nun hat sie Jenny zur Welt und dann zu einer Babyklappe gebracht. Irgendwo in Berlin. Panisch rennt sie vor der Klappe hin und her. Zerrt daran herum, bricht in hysterisches Geschrei aus, als die sich keinen Zentimeter öffnet. Da kommt Ruben (Viktor Weinberg), der russisch-deutsche schöne junge Mann. Nicht eben älter als Chrissy, aber bereits ausgestattet mit väterlicher Ruhe, Vernunft und Überlegenheit. Leicht berührt er die Klappe mit den Fingerspitzen, und das Ding öffnet sich. „Voilá, wahre Hightechnik“, flüstert er fast. Chrissy bewundert ihn jetzt. Sie, die sich nun „Nova“ nennt, nachdem sie das Balg losgeworden ist.

Doch sich zu erneuern, wie die Umbenennung suggeriert, dazu gibt ihr die Olga Sawitzki, Regisseurin der JugendTheaterWerkstatt Spandau, die jetzt mit Red Stars im Malersaal des Schauspielhauses zu Gast war, keine Gelegenheit. Konsequent blickt Nova zu Ruben auf, juckelt bei seinem Auftritt als Gitarrist in der deutsch-russischen Rockband albern auf ihrem Platz in der vordersten Reihe herum, klatscht hysterisch und findet keine andere Sprache als Gekreische in den höchsten Quietschtönen. Nova/Chrissy, das Opfer par excellence, die passive Gebährmaschine, die gebrochene Seele, die zum Schluss in der Psychiatrie landet, weil „die Krankenschwester sagt, ich brauche einen Arzt für meinen Kopf“.

Mit anderen Worten, die -zigste Re-inszenierung der freudschen Vorlage. Unerreichbar für sie die Welt der rockigen Jungs von den Red Stars. Schon der Text von David Spencer gibt das so vor. Doch Regisseurin Sawitzki treibt dieses Nebeneinander der Geschlechterwelten auf die Spitze. Hinten auf der Bühne, auf dem 50 Zentimeter hohen Podest schwenken die Kerle ihre Instrumente, ihr Vokabular beschränkt sich auf „beschissen“ und „Pisser“. Sie haben nur ein Problem: berühmt zu werden.

Das ist nicht leicht für russische Immigrantenkinder, denn der Gig bei Universal scheitert. Macht nichts, cool bleiben, so die Devise. So bleiben sie unnahbar und oberflächlich. Das liegt daran, dass sie ihre Wunden nicht zeigen. Die Zuschauer erfahren nichts von ihrer Herkunft, von ihren Familien, von ihrer individuellen Geschichte. Auch der Konflikt zwischen den Bandmitgliedern erlebt in der Inszenierung keine Entwicklung. Maxim (Alex Kochan), der Leader, plant nämlich, die anderen zu verlassen und eine Solokarriere zu starten. Doch merkwürdig belanglos wird das abgetan, abgestumpft vielleicht.

Die Inszenierung hätte gut daran getan, dies zu dramatisieren – wie auch die Sprachlosigkeit der Jugendlichen untereinander. Das passiert jedoch nicht. Deshalb wirkt diese Coolness harmlos, ja sogar im positiven Sinne normal, denn das Konzept der Distanzierung von sich selbst und anderen funktioniert, während Nova, die sich in ihrer Verzweiflung Ruben gegenüber öffnet, ja ganz klaffende Wunde ist, immer nur scheitert. So scheint Ruben eben nicht hilflos, wenn er, mit ihrer Leidensgeschichte konfrontiert, nichts anderes herausbringt als „Nova, du brauchst viel mehr, als ich dir geben kann“, sondern durch seine Reserviertheit sogar vernünftig.

Die Story bleibt behauptet und flach, obwohl die Jugendlichen von der JugendTheaterWerkstatt Berlin Spandau engagiert und mit Präsenz ihre Rollen spielen. Viellleicht hätten sie im Stück mehr von sich selbst preisgeben sollen, von eigenen Hoffnungen, Enttäuschungen und Wunden. Denn schließlich besteht die Theatergruppe tatsächlich aus deutsch-russischen Mitgliedern. Der Rat des schleimigen Universal Managers Mark (Martin Schielke) an die Band gilt also im Grunde für die gesamte Inszenierung: „Ihr braucht euren eigenen Stil. Ihr müsst wissen, wo ihr hinwollt.“