: Der Hefeteig quillt und quillt
Affen, Bäcker und jede Menge Zombies unterstützen das Künstlerduo bankleer in seinem Karneval der Symbole. Es ist oft dabei, wenn es in der Kunst um Prekarisierung der Arbeit oder Gentrifizierung der Städte geht wie jetzt in der NGBK. Ein Porträt
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Dass Michael Glos sich geärgert haben soll, macht die beiden stolz. Denn ganz bewusst wählte das Künstlerduo bankleer den Invalidenpark vor dem Wirtschaftsministerium in Berlin aus, um im September 2008 ihr großes „Tuch der Tränen“ aufzuhängen, vollgeschrieben mit Begriffen wie „kadavern“, „niedriglohnmaschinerie“ und „neoliberalerdrecksjob“. „Im Niedriglohnsektor ist Deutschland in Europa Spitze“, sagt Christoph Leitner in seiner leicht bayerischen Diktion und erzählt, wie ihnen kurz vor Abbau der Installation ein Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministerium vom Ärger des Ministers berichtet hat.
Das Gesprächsprotokoll ist jetzt abgedruckt in dem kleinen Buch „unvermittelt“, das eine Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) begleitet, die, so der Untertitel, „Kampagnen für einen Arbeitsbegriff jenseits von Überarbeitung und Mangel“ vorstellt. bankleer sind gleich mit drei Aktionen dabei, die im Video nicht nur dokumentiert, sondern auch in unterhaltsame Formate gebracht sind.
Sie führen einen Karneval der Zeichen auf: Da sieht man zum Beispiel ein Vogelhäuschen, das Einflugloch geformt wie das Logo der Arbeitsagenturen, aus dem ein spezieller Hefeteig quillt und quillt, eigens von einem befreundeten Bäcker für diese Metapher auf leere Versprechungen entwickelt. Oder leere Bürostühle bilden auf einer Drehscheibe ein Karussell, bis die Fliehkraft der immer schnelleren Umdrehungen sie runterschleudert.
Dazwischen sitzen Leute auf der Drehscheibe und erzählen von ihren Arbeitsversuchen: Vom Traum, sich mit gehäkelten Tieren in einen kleinen Laden selbstständig zu machen, oder der absurden Situationen von Soziologen, die über Teilzeitarbeit promovieren, selbst im Uni-Milieu aber keine hinkriegen. Schon nach zwei, drei Minuten zuhören hat man den Bogen gefunden zwischen dem Einzelschicksal und den schizophrenen Anforderungen der Ökonomie. Die Interviews haben bankleer zusammen mit Frauke Hehl von Workstation gemacht.
Vor sieben Jahren gaben sich Karin Kasböck und Christoph Leitner als künstlerische Produktionseinheit den Namen bankleer. Der hat seitdem nichts von seiner prophetischen Kraft verloren. Die Gegenwart schaufelt Wasser in immer größeren Kübeln auf die Mühlen ihrer Kritik am Phantasma eines funktionierenden globalen Kapitalismus.
Wie sehr das Funktionieren des Marktes auch eine Frage des Glaubens ist, thematisierte eine ihrer ersten gemeinsamen Arbeiten „j.e.s. – the masks of kapitalism“, die in einer Performance Vodoorituale und die Biografie eines Managers zusammenbrachte. Auch in der NGBK hängt wieder so ein Voodoo-Maskenkopf, groß wie ein Punchingball, an dem man seine Wut ablassen kann. Aber Vorsicht! In einem Auge trägt er eine Kamera. Wer zuschlägt, wird gleich erfasst und eingescannt in die Bilder einer Reihe von Aktionen, die bankleer 2004, während eines Stipendiums auf Schloss Solitude, im Arbeitsamt Stuttgart unternahmen.
Dabei entdeckten sie eine Figur, die seitdem in ihren Projekten eine vielfältige Ausdifferenzierung erfahren hat: den Zombie. In Stuttgart kam er ins Spiel, weil er den „Zwang, Präsenz zu zeigen“ so schön konterkariert und in seiner Existenz zwischen den Lebenden und den Toten die Identitätskrisen der aus dem Arbeitsleben Gefallenen gut auf den Punkt bringt. Bankleer selbst waren überrascht, welche Stärken ihre Mitspieler als Zombie entfalteten. Und sie entdeckten in der Folge immer mehr surreale Schauplätze, Abbruchhäuser, Investitionsruinen, die nach seinen Auftritt geradezu schrien. Die letzte Steigerung erfährt diese Motivschiene in ihren Recherchen über die Gespenster Lenins, die nicht nur in einem russischen Museum umgehen.
Karin Kasböck und Christoph Leitner, geboren 1969 und 1968, bilden auch privat eine kleine Produktionseinheit und bekommen demnächst ein Kind. Beide sind aus dem Münchner Raum nach Berlin gekommen, angezogen von Videokollektiven und auf der Suche nach Kunstformen, die geeignet sind, Themen der Gentrifizierung, der Privatisierung des öffentlichen Raums und der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse aufzugreifen. „Wir sind auf der Suche nach Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus“, sagt Karin Kasböck. Ihn haben schon im Studium vor allem die Situationisten beeindruckt. Beide interessieren sich für performative Spielformen, die sie mit vielen anderen Menschen zusammenbringen, seien es politische Aktivisten, Arbeitssuchende, Angestellte von Arbeitsagenturen oder Wissenschaftler. Denn das ist eines ihrer Talente: in all denen ungeahnte Ausdrucksstärken zu entdecken.
Oder auch das richtige Setting zu finden, um in den Kontext von Wirtschaftstheorien und ihren oft euphemistischen Begriffen und irrationalen Versprechungen Bewegung hineinzubringen. Ihr Video „dereguliert I“, 2004 als Kommentierung der Rufe nach mehr Flexibilität und Deregulierung entstanden, spielt zum Beispiel unter Schimpansen in einem Zoo. Bankleer schrieben Pappschilder, potenzielle Requisiten einer Demonstration für mehr Deregulierung, und gaben sie den Schimpansen. Gern sieht man dem genussvollen Zerfetzen dieser Parolen zu, einem völlig freien, deregulierten Spiel der Kräfte.
So trifft bei ihnen das Rüstzeug der Theorie mit einem außertheoretischen Moment zusammen, etwas augenzwinkernd, etwas anarchistisch. Das eben macht den speziellen Charme von bankleer aus.
„unvermittelt“ in der NGBK, Oranienstr. 25, tägl. 12–18.30 Uhr, bis 1. Februar 2009. Mehr unter: www.bankleer.org
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