■ Leser ergänzen die Berichterstattung über die Proteste gegen den G-8-Gipfel in Evian
: Le monde répond: résistance!

betr.: „Gemeinsam nur aufs Klo“, taz vom 2. 6. 03 und weitere Berichte zu den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Evian

Mir ist gerade im friedlichen Attac- und Gewerkschaftscamp „Intergalactica“ der vulgäre Antiamerikanismus am weitesten entgegengeschlagen, und so manchmal war etwas vom „jüdischen Kapital“ oder „Einfluss“ zu hören. Die Demonstration in Lausanne dagegen schien mir eine politisch sehr bewusste gewesen zu sein: Dort thematisierten die Demonstranten korrekt die Politik der „Großen Acht“ und der internationalen Institutionen und Vereinbarungen. Der Schwerpunkt lag vor allem bei der Migrationspolitik! Die Demonstranten verhielten sich gegenüber den Provokationen seitens der Polizei hervorragend, vor allem „PinkSilver“ und die Sambaband erreichten es, dass der Zusammenhalt in der Demo gewahrt blieb und es nur zu einzelnen gewalttätigen Zwischenfällen kam.

Das Ziel der Demonstration war, alle Hauptzugänge zum Hafengebiet zu blockieren, was bis auf die letzte Kreuzung auch mit friedlichen Mitteln gelang; dazu gehört selbstverständlich, nicht um Erlaubnis zu fragen. Die Polizeikräfte ärgerte es, dass es ihnen trotz massivem Tränengaseinsatz nicht gelang, die Demonstration zu sprengen. Sie jagte sie denn auch mit Tränengas aus die Stadt hinaus und nahm dabei keine Rücksicht auf Nichtbetroffene: Ich sah, wie sie einen Park, in dem viele Menschen picknickten, darunter viele Kinder, einnebelte – diese hilflosen Kinder unter dem Schock von Tränengas und Soundbombs zu sehen, war nicht schön.

Als dann die Demonstranten im oberen Camp von Lausanne eingekesselt wurden, beeindruckte mich die Kompromisslosigkeit und der passive Widerstand der Sitzblockade. Die Polizei forderte zur Personalkontrolle auf, doch die Eingekesselten blieben sitzen und verweigerten sich aus Solidarität mit den „sans papiers“ dieser Aufforderung. Durch diese Haltung der Demonstranten, die sich nicht einschüchtern ließen, wurde eine gewaltsame Repression verhindert. Trotz der Verhaftungen aus dem Kessel heraus war die fantasievolle Lausanner Demonstration ein Erfolg und lässt für die Zukunft hoffen.

„Là ceux qui veulent dominer le monde – le monde répond: résistance!“ KAI MÜLLER, Freiburg

940 Menschen sind aus Deutschland in einem Sonderzug zu den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Evian gefahren. Gipfel des Protestes war die Blockade einer Zufahrtsstraße nach Evian und die Teilnahme an der Demonstration in Genf. Die Blockade hat den Gipfel vielleicht zwei Stunden verzögert, aber verhindert hat sie ihn nicht. Noch hat sie an dem Funktionieren der Globalisierung oder des Kapitalismus etwas geändert. Wahrscheinlich konnte sich die Polizei sogar sehr gut auf die Blockade einstellen, da der französische Staat uns Demonstranten ja sogar die Wasser- und Toilettenversorgung ermöglicht hatte.

Entscheidender dürfte wohl der symbolische Wert der Blockade sein: Leute aus allen Zusammenhängen arbeiten gemeinsam über Tage hin auf diesen Protest zu. Die PDS-Jugend Solid organisiert die Barrikaden, die Spezialisten für die Blockaden am Rhein-Main-Flughafen während des Krieges „resist“ und die Castor-Protestierer „X-tausendmal quer“ inspirieren die Struktur und stellen erfahrene Aktivisten, und die IG-Metall-Jugend bringt das Megafon ein und organisiert die Wasserversorgung und ist an vorderster Front mit dabei.

Auch von der Demo könnten wir etwas lernen: Den französischen Teil führten streikende Lehrer an. Außerdem waren vor allem Gewerkschafter aus der Region auf der Demonstration. Die Regierung versucht die Streikenden zu spalten und eine Gewerkschaft, die CFDT, hat tatsächlich einen Vertrag mit dieser Regierung abgeschlossen. Dementsprechend war der Slogan „Tous ensemble, Tous ensemble – Grève! Grève!“ (Alle gemeinsam – Streik! Streik!), der auf der ganzen Demo zu hören war, eine unüberhörbare Intervention. Und siehe da: Als am Dienstag sich der Streik nach dem zweiten offiziellen Streiktag dem Ende zuneigte, wurde auf einer Betriebsversammlung nach der nächsten die Fortführung des Streiks beschlossen.

Zurück in der deutschen Realität der Agenda 2010 und des gerade abgeschlossenen SPD-Sonderparteitages bleibt die Hoffnung, die 940 Leute aus dem Zug könnten der deutschen Politik doch ein wenig Französisch beibringen. LUIGI WOLF, Berlin

Schreiberinnen der einst linken taz müssten eigentlich am besten wissen, was von Polizeiangaben hinsichtlich der Teilnehmerzahl bei Demonstrationen zu halten ist. Dennoch spricht die taz von 20.000 oder 30.000 Teilnehmern bei der Anti-G-8-Demo am Genfer See. Spiegel-Online und Sueddeutsche.de schreiben am ersten Juni übereinstimmend von 50.000 Demonstranten nach Polizeiangaben und 120.000 Teilnehmern nach Angaben der Veranstalter. Eine seriöse Zeitung sollte beide Zahlen nennen.

Die entsetzlich kreative Überschrift „Gemeinsam nur aufs Klo“ würde auf jeder Journalistenschule schlicht als Faktenfehler gewertet. Zumindest in den Protestdörfern in Annemasse (und auf diese bezieht sich Dorothea Hahn ja auch) gab es keine „Toilettenräume“, die man gemeinsam benutzte. Es gab auf dem gesamten Gelände Dixi-Klos, die selbstverständlich von jedem benutzt wurden – genau wie die Essensbereiche, die Info- und Veranstaltungszelte und das gesamte restliche Gelände der zwei Camps. Auch wurden Protestaktionen durchaus gemeinsam geplant und in die Tat umgesetzt.

„Holzsperren“, durch die Hahn die Dörfer „symbolisch getrennt“ sah, gab es auch nicht. An den Eingängen der Camps waren lediglich niedrige Metallgitter aufgestellt, mit denen wohl eher mögliche Angriffe der Polizei abgewehrt werden sollten. Fußgänger wurden dadurch nicht im Geringsten behindert.

FLORIAN MORITZ, Berlin

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