Plattenläden brennen Kunden die Lieblings-CD

Um zu überleben, laden Musikgeschäfte zum Brennen von eigenen Compilations ein – Sessel und Espresso inklusive

ROSTOCK taz ■ Dem CD-Fachhandel geht es schlecht: Allein in den letzten sechs Monaten sank der Umsatz mit den silbernen Tonträgern um 26 Prozent. Und dies ist wohl immer noch gelinde gegenüber dem, was zu erwarten ist, wenn erst alle begreifen, wie einfach das Brennen einer CD ist.

Die Branche sucht nach einem Strohhalm: „Music-Lounge“ heißt er. Kunden können sich ihre CD an einem Terminal im Laden selber brennen, kommen so in den Fachhandel zurück. Seit Dienstag steht der erste in einem Lübecker Geschäft. Titel auswählen, Cover aussuchen, Grußtext, Brennen, fertig. Mehr als 20.000 Tracks sind verfügbar, schon bald sollen es über eine Million sein. Das Brennen dauert 30 Sekunden – beste CD-Qualität, wie sie das Herunterladen aus dem Internet nicht erreicht. Jeder Song kostet 99 Cent, Rohling und Hülle mit Cover 2 Euro.

Dabei sitzt das einstige Feindbild der CD-Händler im Ledersessel, trinkt einen Espresso, und auf großflächigen Bildschirmen laufen aktuelle Clips. „Das CD-Selberbauen wird zum Event“, versprechen sich die Initiatoren Martin Salzmann aus Lübeck und René Geschke aus Rostock. Beide leiten CD-Läden. Anstatt CDs ins Regal zu sortieren, werden ihre Angestellten künftig die Datenbank pflegen.

Wer überhaupt nicht weiß, was er will, und die CD-Verkäufer bislang mit nachgepfiffenen Melodien vor große Proben stellte, kann in der Music-Lounge nach Gefühl und Epochen suchen. So lassen sich beispielsweise alle Songs aus den 70er-Jahren auswählen, dazu Gefühlsmerkmale wie aggressiv, traurig, heiter oder erotisch. Noch weiter träumt René Geschke, vom – wie er es nennt – „absoluten Strohhalm“. Er reagierte auf den Einbruch im CD-Verkauf zunächst mit der Eröffnung eines Printzentrums. So drucken die Selbstbrenner wenigstens noch ihre Cover bei ihm. In seine „Music-Lounge“, die er im Sommer eröffnet, will er dann Tipps lokaler DJs aufnehmen. Deren Songlisten von der Party am Abend zuvor will er auf seinem Server haben. Dann kann sich der Partygast am nächsten Tag sein Lieblingslied gleich mit nach Hause nehmen.

Möglich wurden diese Zukunftsträume, da erstmals Musikgiganten wie Universal und Sony die Rechte für dieses offizielle Downloaden abgaben. Universal stellt vorerst 12.000, Sony 8.000 Tracks für solche Terminals zur Verfügung. Im Sommer wollen sich auch EMI und VEA beteiligen. Für Letztere ist dies nur ein Zwischenschritt zum neuen Kiosksystem. Auf Bahnhöfen, in Supermärkten oder in Wartezimmern sollen die Menschen bald aktuelle VEA-Produktionen in kleinen Brennkabinen, ähnlich wie im Passbildautomaten, downloaden können.

René Geschke glaubt, dass es die CD-Regale in 4 bis 5 Jahren nicht mehr geben wird. Dann sieht er seinen Laden mit mehreren Download-Terminals ausgestattet. Für Nostalgiker gibt es noch ein Schallplatten-Regal. Auch ein paar CDs sind noch zu haben. Sondereditionen mit aufwendig gestaltetem Cover, vielleicht sogar mit lustig blinkenden Leuchtdioden. In einer Vitrine stehen noch ein paar Klassiker – alte CDs von Madonna oder so. DIRK BÖTTCHER