Letzte Hoffnung Zinssenkung

Die Europäische Zentralbank senkt den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte auf 2 Prozent. Experten erhoffen sich Belebung der Wirtschaft – doch ob die Zinssenkung hilft, ist fraglich: Andere Kriterien sind wichtiger, wenn es um Kreditaufnahme geht

von KATHARINA KOUFEN

Hurra, die Zinsen sinken – gute Nachrichten für alle, die Geld brauchen: Kredite werden billiger, noch billiger, als sie ohnehin schon sind. Das jedenfalls könnte man annehmen, denn die Europäische Zentralbank (EZB) senkte gestern die Leitzinsen von 2,5 auf zwei Prozent – den tiefsten Stand seit der Arbeitsaufnahme der EZB 1999. Die Folge: Für Sparkassen, Volksbanken und alle anderen Geldhäuser wird es günstiger, sich Kapital auszuleihen. Und eigentlich könnten sie dieses Geld auch billiger an ihre Kunden weiterverleihen.

Könnten sie. Doch leider, leider funktioniert diese Logik oft nur in der Theorie. Tatsächlich werden Zinsschritte der EZB an die Geschäftsbanken in der Regel mit mehrmonatiger Verzögerung weitergegeben. In letzter Zeit gelegentlich auch gar nicht. Zu viele Kunden konnten im letzten Jahr ihre Schulden nicht zurückzahlen. Das hat den Gewinn der Banken und den Spielraum für die Kreditvergabe geschmälert. Bekam man in den Boomzeiten Ende der 90er-Jahre das Geld noch hinterhergeschmissen, achten die Banken heute wieder stärker auf „Bonität“ und behalten den Gewinn aus den niedrigeren Zinsen.

Am meisten hilft die Zinssenkung großen Unternehmen. Sie können sich, wie die Geschäftsbanken, direkt am Geldmarkt mit Kapital eindecken. Und – das jedenfalls hoffen die EZB und alle die Politiker, die die EZB zur Zinssenkung drängten: Diese Firmen investieren ihr zusätzliches Geld in neue Projekte, kurbeln dadurch die Konjunktur an, sichern Arbeitsplätze. Allerdings zeigt sich auch hier: Im wirklichen Leben ist die Zinshöhe nur eines von mehreren Kriterien für die Kreditaufnahme. Mindestens so wichtig sind die Erwartungen, wie die Wirtschaft sich entwickelt, und die finanzielle Lage des Unternehmens.

Vorsichtshalber haben gestern trotzdem alle – Politiker, Industrie, Gewerkschaften, Börsianer – die Zinssenkung gelobt. „Wir begrüßen den Zinsschritt der EZB als deutliches Signal, Wachstumskräfte innerhalb der Eurozone freizusetzen“, sagte ein Sprecher des Finanzministers. Auch für Hans Eichel werden die Kredite billiger.

Die Aktienmärkte zeigten sich hingegen unbeeindruckt. Der Euro trotzte sämtlichen Lehrbuch-Behauptungen und stieg bis zum Nachmittag auf 1,1775 Dollar. Ein Frankfurter Analyst suchte trotzdem eine Erklärung: „Das liegt vielleicht daran, dass einige Marktteilnehmer sagen, dass die EZB mit der Zinssenkung etwas für die Konjunktur in der Euro-Zone getan hat.“

Immerhin – die Zinssenkung ist ein Zeichen, dass die EZB zurzeit keine Inflationsgefahr sieht. Zu Recht, denn im Durchschnitt liegt die Preissteigerung bei 1,9 Prozent und damit unter der anvisierten Höchstgrenze von zwei und seit neuestem zweieinhalb Prozent. Allerdings unterscheidet sich die Inflationsrate in den einzelnen Ländern: In Irland liegt sie bei über viereinhalb Prozent, hier unter einem Prozent. Sollten die niedrigeren Zinsen also helfen – Deutschland würde besonders davon proftieren.

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