Harald Fricke über Erinnerungskultur

So bleibt das Dokzentrum ein Fremdkörper

Das Dokumentationszentrum auf dem Gelände des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist gestern eingeweiht worden. Der Öffentlichkeit bleibt der Zutritt zunächst verwehrt.

Nun gibt es kaum noch Lücken im Zentrum von Berlin. Nachdem vor drei Jahren die letzten Stelen auf dem Gelände für das Mahnmal der ermordeten Juden in Europa installiert wurden, ist gestern endlich auch das Dokumentationszentrum eingeweiht worden. Der zweistöckige Glaskubus ist eine gelungene Ergänzung zu den 2.700 monolithischen Sandsteinen, zugleich bildet er einen offenen Übergang zwischen dem Mahnmal und den angrenzenden Botschaften. Von der Kuppel des Reichstags aus betrachtet, fügen sich die Gebäude als ein genau kalkuliertes Areal aus repräsentativer Metropolen-Skyline und abstrakter Leerstelle zusammen.

Trotzdem war die Eröffnung entmutigend. Zwar wurde an Lea Rosh als maßgebliche Initiatorin des Mahnmals erinnert und in einem Rückblick auf das Werk des Architekten Peter Eisenman noch einmal der Entwurf gelobt, auf dessen Grundlage der Bau des Denkmals vor knapp 30 Jahren begonnen worden war. Doch ob das Ensemble je für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird, darüber fiel kein Wort. Derzeit sollen nur Forscher des Kollegs zur Geschichte des Holocaust mit Sondergenehmigungen hineindürfen – angeblich ist der Sicherheitsaufwand für ein größeres Publikum zu hoch. Dass die Nutzung nicht geklärt ist, gehört zum Kurs der Regierung: Sie sucht nach einem Modell, das weder die Jüdischen Gemeinden Deutschlands empört noch künftige Koalitionspartner abschreckt.

Folgerichtig haben sich führende Vertreter der Konservativen geweigert, an den Feierlichkeiten teilzunehmen: Ihr Vorschlag, mit einem weiteren Denkmal an alle Opfer von Krieg, Terror und Gewalt des 20. Jahrhunderts zu erinnern, wurde erst im vergangenen Dezember vom Prager Rat für Integration abgelehnt. Diese Entscheidung ist zu begrüßen, weil damit auch ein Zeichen für andere EU-Länder gesetzt wurde – immerhin gibt es in Polen und Litauen schon Pläne für Gedenkstätten, die dem Massenmord an den Juden ebenso gewidmet sein sollen wie den Verbrechen der Sowjets.

Dagegen hat die Prager Entscheidung deutlich gemacht, dass die historische Singularität des Holocaust auch nach 80 Jahren nicht in Frage gestellt werden darf. Doch gerade dieses Urteil braucht zum Verständnis eine konkrete Erfahrung des Vergangenen – zumal die letzten Überlebenden der Konzentrationslager schon vor Jahren gestorben sind. Ohne den freien Zugang zum Dokzentrum wird der Druck jener wachsen, die die jetzige Regelung für eine künstliche Überinszenierung halten – und die ohnehin für eine Lockerung der Gedenkdiskurse plädieren. Schon jetzt werden die Sachbuchlisten von Bestsellern angeführt, in denen Vergleiche zwischen der Schoah, den Vertreibungen der Neunzigerjahre oder militärischen Einsätzen im Nahen Osten gezogen werden.

Gerade in Deutschland haben diese Pauschalisierungen innerhalb der Erinnerungsliteratur zu einem irritierenden Maß an gesellschaftlicher Indifferenz geführt. Für zwei Drittel der heute 20-Jährigen war der Holocaust zwar ein schlimmes, aber kein singuläres Verbrechen. Sollte das Dokzentrum nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wird diese Zahl steigen. Dann wird der Glasbau kein Symbol ernsthafter Aufarbeitung, sondern ein Fremdkörper.