Matti Lieske über Naomi Heather Agassi-Graf

Die Eisprinzessin aus dem Tennis-Clan

Als jüngstes von sieben Geschwistern bleibt einem eigentlich gar nichts anderes übrig, als etwas völlig Verschiedenes von dem zu tun, was die anderen Mitglieder der Sippschaft so treiben – vor allem wenn diese sich auch noch im Metier der Eltern betätigen. „Schon als ich noch ganz klein war, haben mich Tennisschläger irgendwie angeekelt“, sagt Heather Naomi Agassi-Graf (18) mit jenem charmanten Grinsen, das sie vom Großvater mütterlicherseits geerbt hat.

Der sportliche Weg, den ihre drei Brüder und drei Schwestern einschlugen, die inzwischen die Spitze der Tennis-Weltranglisten in einem Ausmaß zu einer langweiligen Familienangelegenheit degradiert haben, von dem ihre frühen Vorläufer, die Williams-Schwestern, vor dreißig Jahren nicht einmal zu träumen wagten, blieb ihr somit durch frühkindliche Prägung versperrt. Was aber keineswegs hieß, dass Heather Naomi das sportliche Talent, das den Genen dieser Familie inhärent ist, verschleudert hätte.

Seit sie als Dreijährige bei den Olympischen Winterspielen in Las Vegas im Treasure-Island-Hotel erleben durfte, wie Michelle Kwan mit 33 Jahren endlich die Goldmedaille gewann, war sie von dem Gedanken besessen, Eiskunstläuferin zu werden. Sie trainierte eisern, die Trainingspläne, die sie zusammen mit ihrer Mutter entwickelte, sind Legende. „Ich brauche nicht viel Schlaf“, sagt Heather Naomi, „und meine Geschwister haben sowieso nur über Tennis geredet.“

Die Eltern – hocherfreut, dass es im Hause endlich mal um etwas anderes als Tennis ging – unterstützten sie nach Kräften und ließen für sie eine eigene Eisbahn im Garten bauen. André Agassi lernte auf seine alten Tage sogar Schlittschuh laufen, um als Partner zu fungieren, solange Heather Naomi noch Eistänzerin werden wollte. Über diese Zeit muss sie heute noch kichern: „Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass es Dinge gibt, die selbst Dad nicht kann.“ Was der ehrgeizige Agassi natürlich nicht auf sich sitzen ließ, wie er gestern im Beiprogramm der Eiskunstlauf-Weltmeisterschaften in Dortmund bewies. Im Senioren-Kürwettbewerb gewann er souverän gegen Scott Hamilton, Toller Cranston, Stefan Lindemann und John McEnroe und zeigte eine Eleganz, die er auf dem Tennisrasen früher oftmals doch vermissen ließ. Nachlegen kann er allerdings noch bei den Sprüngen, die selbst in seiner Altersklasse noch sicherer gelingen können.

Der Star des Abends, auch im Hause Agassi-Graf, war und blieb sowieso Heather Naomi, die mit einer formidablen Kür erstmals Eiskunstlauf-Weltmeisterin wurde. Zu diesem Anlass hatte sie sogar kurzzeitig ihre tief sitzende Tennisabscheu abgelegt. Ihr mit drei Vierfachsprüngen gewürztes Programm war als eine Hommage an die Mutter angelegt, in deren Heimatland die Weltmeisterschaft ja schließlich stattfand.

Unter dem Motto „Centre Court“ trug Heather Naomi in einem angedeuteten Tennisdress detailgetreu das Wimbledon-Finale von 1991 vor, das Steffi Graf damals gegen die einst fast ebenso bekannte Gabriela Sabatini gewonnen hatte. Lakonischer Kommentar der durchaus stolzen Mama: „Meine Vorhand war besser.“