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Es ist nicht alles egal

An Berlin muss man erst mal glauben: Seit vier Jahren lebt der Musiker Jens Friebe in der Hauptstadt. Mit seinem Debütalbum ist er nun unverhofft zwischen die Fronten der popkulturellen Lager geraten

VON KOLJA MENSING

An den Frühling muss man schon glauben. Am Helmholtzplatz zum Beispiel geben sie sich heute alle Mühe. Es ist Montagnachmittag, das Thermometer zeigt höchstens elf oder zwölf Grad an, aber trotzdem versuchen vor dem Wohnzimmer ein paar verfrorene junge Menschen mit bleichen Gesichtern, das spärliche Bündel Sonnenstrahlen in ihren Hefeweizengläsern einzufangen. Wenn man dann lange genug hier draußen sitzen bleibt, wird es vielleicht sogar in dieser ungemütlichen Stadt irgendwann einmal Sommer werden. Auch an Berlin muss man eben glauben.

Am einfachsten fällt einem das wohl immer noch, wenn man noch gar nicht hier angekommen ist. Der Musiker Jens Friebe hat den Entschluss, nach Berlin zu gehen, vor vier Jahren in Köln gefasst. Mit seiner Band Parka ging es gerade nicht weiter, und die Demobänder, die sie endlich aufgenommen hatten, taugten auch nichts. Damals stand Berlin noch mehr als heute in dem Ruf, genau der richtige Ort für einen 25-Jährigen zu sein, der aus Lüdenscheid kommt, mit Köln nach ein paar Jahren schon durch ist und jetzt noch einmal neu anfangen will. „Ich wollte hier langsam Kontakte aufbauen und mir nach und nach wieder eine Band suchen“, sagt Jens Friebe, der an diesem zugigen Nachmittag im Wohnzimmer erfreulicherweise nicht auf einen Platz draußen in der Kälte besteht. Und dann erzählt er eine Geschichte, die fast wie ein Märchen klingt. Ein Popmärchen.

Es beginnt mit einem Anruf. „Guten Tag, hier ist Alfred Hilsberg“, sagt eine Stimme, und weil Jens Friebe damals gerade erst Jürgen Teipels „Verschwende deine Jugend“ gelesen hat, weiß er, dass am anderen Ende der Leitung der Labelchef von What’s So Funny About und ZickZack ist – der Mann also, der in den Achtzigern die Einstürzenden Neubauten unter Vertrag genommen hat und in den Neunzigern unter anderem zum Entdecker von Blumfeld wurde. Jemand wie Alfred Hilsberg könnte es also durchaus ernst meinen, wenn er sagt: „Wie viel Zeit brauchst du, um ein Album aufzunehmen?“

Jens Friebe lässt sich auf ein halbes Jahr herunterhandeln. Ein paar Songs hat er bereits, aber ihm fehlen in Berlin die Kontakte, die er jetzt eigentlich braucht. Schließlich ist er gerade erst angekommen. Also entschließt er sich, ganz das new kid in town, einfach mal im WMF vorbeizuschauen, denn er hat gehört, dass Armin von Milch dort seine Nächte verbringt. Er trifft den Musiker tatsächlich, spricht ihn einfach an, und die Stimmung ist sofort sehr kollegial: „Armin fragte als Erstes, ob ich Drogen will.“ Nachdem sie das geklärt haben, hat Jens Friebe einen Produzenten für seine CD gefunden.

Mittlerweile ist die CD fertig. Sie heißt „Vorher Nachher Bilder“ und passt ausgezeichnet zu Hilsbergs Marke ZickZack und dessen geschichtsbewusster Suche nach „Geräuschen für den Tag danach“, wie vor kurzem der Titel eines programmatischen Label-Samplers lautete. Auf „Vorher Nachher Bilder“ gibt es fröhlich pulsierende Elektronikbeats und ein paar schlichte Indierock-Gitarren, traurige Liebeslieder wechseln sich mit verschlumpftem Songwriting ab, und Jens Friebe bedient sich auch gerne mal im Archiv. Dann covert er einen alten Beat-Happening-Song oder eröffnet seinen wirklich großartigen Track „Wenn man euch die Geräte zeigt“ mit ein paar Takten aus „Just Like Honey“ von The Jesus and Mary Chain: „Ich hab heute nacht geträumt / Es wär nicht alles egal / Und wir hätten eine Wahl“, singt er in diesem Stück, das mit seiner Mischung aus Aufbruch und Resignation eigentlich genau das richtige für einen zögerlichen Berliner Frühling ist.

Doch es geht um mehr als nur ein bisschen Sonne. „Ein Lied ohne Botschaft / ist wie ein Land ohne Botschaft“, heißt es in einem anderen Song. Darum darf man in dem Text von „Wenn man euch die Geräte zeigt“ dann wohl auch eine etwas tiefer gehende Melancholie erkennen. So ist das nun einmal: Wer 1975 in Lüdenscheid geboren wird und in äußerst geordneten Verhältnissen aufwächst („Schreib einfach, dass ich einen reichen Onkel in Amerika habe“), findet eben nur selten die Gelegenheit zu beweisen, dass ihm nicht alles egal ist. „Ich war natürlich auch mal in der Antifa“, sagt Jens Friebe. Die entscheidenden Schlachten seines Teenager-Lebens sind allerdings nicht zwischen politischen, sondern zwischen popkulturellen Lagern geschlagen worden: „Ich konnte zum Beispiel nie ein Nirvana-Fan werden, denn dann hätte ich damals auch Pearl Jam und Red Hot Chili Peppers hören müssen.“ Und? „Das ging nicht.“

Kurt Cobain ist seit zehn Jahren tot, die Red Hot Chili Peppers machen inzwischen Greatest-Hits-Alben, und Pearl Jam stellen eigentlich auch keine Bedrohung mehr dar. Dafür ist Jens Friebe, wie er etwas kleinlaut erzählt, jetzt selbst zwischen die Fronten geraten: „Wir haben ein Problem mit deinen Texten“, erklärte ihm gerade erst eine Booking-Agentur und verweigerte ihm die Zusammenarbeit. In Indierock-Kreisen ist so etwas wahrscheinlich schon ein kleiner Skandal. Das Problem ist „Deutsches Kino“, ein eigentlich ganz lustiges Lied auf „Vorher Nachher Bilder“, in dem es um die Mischung aus „Ekel und Scham“ geht, die einen zuweilen vor der Leinwand überkommt: „Es ist ja nicht so, dass mir alles aus Amerika gefällt / Doch das deutsche Kino ist nun mal das schlechteste der Welt.“

So eine Liedzeile stößt anscheinend auch in halbwegs aufgeschlossenen Kreisen eine ganze Menge Menschen vor den Kopf. „Kulturpatriotismus“, sagt Jens Friebe und zuckt verlegen mit den Schultern: „Das Ganze ist ein großes Missverständnis. Der Song ist schließlich schon ein paar Jahre alt. Damals gab es diese ganzen deutschen Komödien mit Til Schweiger und so.“ Auf jeden Fall war es ihm dann genauso peinlich, dass ihn das Publikum bei einem Konzert in Hamburg für „Deutsches Kino“ regelrecht gefeiert hat. „Love you, hate you“, auch diese Zeile darf in einem anständigen Popmärchen natürlich nicht fehlen. Jens Friebe überlegt jetzt, ob er das Stück live überhaupt noch spielen soll.

Der letzte deutsche Film, den er gesehen hat, war übrigens „Kroko“, das möchte er zum Schluss dann doch noch erwähnt haben. Der hat ihm nämlich gut gefallen.

Jens Friebe: „Vorher Nachher Bilder“ (ZickZack/Indigo)

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