Sabine Herre und Thilo Knott sprechen täglich mit Fischer

„Bloß keine Sorge: Linke wird es immer geben“

„Ich bin der festen Überzeugung: Die Antworten auf die drängenden Probleme dieses Jahrhunderts sind ohne Europa nicht zu finden“, behauptet EU-Alterspräsident Joschka Fischer (parteilos) im täglichen taz-Interview. Ein Gespräch über seinen 12. Nahost-Friedensplan, die Zukunft Europas und die Linke

TAZ: Herr EU-Alterspräsident, sind Sie amtsmüde?

JOSCHKA FISCHER: Wie kommen Sie darauf!

Sie sind mit Abstand der dienstälteste Europapolitiker. Und im Mai stehen die Feierlichkeiten zu Ihrem Zehnjährigen als Alterspräsident der EU an.

Ich fühle mich geehrt, dass Europa mir das Vertrauen entgegenbringt, so ein verantwortungsvolles Amt bekleiden zu dürfen. Aber amtsmüde? Nein. Konrad Adenauer war mit 87 Jahren noch Bundeskanzler.

Sie sind jetzt 81 Jahre alt. Und die 38 Regierungschefs der EU wollen Sie in Ihrem Amt sogar für weitere fünf Jahre bestätigen. Wollen Sie Adenauer noch einholen?

Es geht nicht um Einholen. Das Projekt Europa ist noch nicht zu Ende, so wie es für Adenauer das Projekt des deutschen Wiederaufbaus noch nicht war. Und da sehe ich meine Aufgabe. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Antworten auf die Probleme dieses Jahrhunderts ohne Europa nicht mehr zu finden sind.

Bis vor Ihrem Amtsantritt waren Sie immer der Partei- oder der Koalitionsdisziplin unterworfen. Genießen Sie es, Ihr eigener Chef zu sein?

Als Ehrenpräsident ist man doch nicht der Papst. Ich weiß gar nicht, warum Sie in die Politik immer Machtfantasien hineininterpretieren wollen.

Aber Papst wären Sie doch gerne geworden, damals, als Sie noch den Grünen angehörten.

Stimmt, meine Karriere begann ich als Ministrant in meiner schwäbischen Heimat. Und wenn es um die Kirche geht, die katholische noch dazu, da können Sie mir nichts vormachen.

Da haben Sie einen Vorteil gegenüber anderen EU-Politikern. Religion spielt in der EU eine immer größere Rolle. Gott und Allah sind sogar in der Präambel der EU-Verfassung verankert. Haben Sie, als der islamistische Terror in Europa Fuß fasste, diese Entwicklung vorausgesehen?

Ich bin doch kein Prophet. Aber schon damals stellte ich mir Fragen: Wie kann man die arabische Welt modernisieren? Das heißt: Schaffen es die islamischen Länder, sich über die Demokratisierung zu modernisieren oder wenigstens über die Modernisierung zu demokratisieren? Und wie kann man die islamische Kultur mit Demokratie und Marktwirtschaft verbinden – also modernisieren?

Sind das auch heute noch die entscheidenden Fragen?

Sicher.

Ihre Antwort?

Ich kann diese Fragen nicht abschließend beantworten. Aber die Antwort auf alle Fragen lautet: Europa.

Haben Sie sich deshalb auf der Clinton-Gedächtniskonferenz vor zwei Wochen wieder dafür stark gemacht, dass sich Europa in den Konflikt zwischen Israel und Palästina einschaltet?

Es ist der gefährlichste Konflikt in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Der 11. September hat die Notwendigkeit, diesen Konflikt zu lösen, schon vor gut 27 Jahren deutlich gemacht. Auch der Anschlag vor einer Wochen in Brüssel zwingt uns zum Denken. So wollte ich auch meinen Nahost-Friedensplan …

… der zwölfte Fischer-Plan …

… Sie sehen, Außenpolitik ist nicht so einfach, wie die taz sie sich manchmal vorstellt. Mein Nahost-Friedensplan ist ein Ideenpapier, ein weiterer Anstoß im Prozess der Diskussion über den Nahen Osten.

Sie haben Ihren zwölften …

… das gefällt Ihnen wohl …

… Ihren zwölften Fischer-Plan eng mit UN-Generalsekretärin Xiane Heller abgestimmt, nicht aber mit US-Präsidentin Estefania Del Torres. Kündet das von einer erneuten Friktion im europäisch-amerikanischen Verhältnis?

Die USA sind nach wie vor für Frieden und Stabilität auf dieser Welt unverzichtbar.

Das spricht doch dafür, Ihren Fischer-Plan mit Del Torres abzustimmen?

In einem Jahrhundert, das im ersten Viertel unfriedlich war, ich erinnere nur an die Anschläge bei den Olympischen Spielen in Leipzig oder den Transrapid in Peking, überall hat es sich gezeigt, wie wichtig der Friedenspfeiler Transatlantik tatsächlich ist.

Die Anschläge fanden in Europa und Asien statt. Zeigt das nicht auch eine Verlagerung politischer und wirtschaftlicher Macht?

Früher habe ich immer gesagt: Die USA sind so stark, nicht weil sie das wollen, sondern wegen der relativen Schwäche der anderen. Auch Europa. Die USA trugen eine schwere Last. Heute ist das anders.

Trägt Europa schwer daran?

Nein. Ich will noch mehr Europa, nicht weniger USA. Europa ist stark, aber es muss noch stärker werden. Das ist unsere Zukunft, denn alle wichtigen Antworten werden …

… in Europa.

… Ich sehe, Sie haben mich endlich genau verstanden.

Was wir daran nicht verstehen, ist, dass Europa seine Stärke nur aufrechterhalten kann, wenn es politisch wie wirtschaftlich eine Einheit bildet. Das ist momentan aber nicht der Fall. Die alten Gründerstaaten kommen aus der ökonomischen Krise nicht heraus, politisch zerfällt die EU in Interessengruppen. So stark ist Europa doch gar nicht.

Europa ist ein Prozess, eine langfristige Aufgabe.

Was heißt langfristig bei 75 Jahren EU-Geschichte?

Ich rede nicht von Jahren. Es gibt immer Schwungräder in einer sich erweiternden Union. Früher waren es Deutsche und Franzosen. Heute sind es Polen, Tschechen und Ungarn. Aber ich kann diese Staaten nur davor warnen, hier verstärkt Alleinführung übernehmen zu wollen. Denn die Idee von Europa war nie, dass es ein Kerneuropa gibt.

Früher haben Sie das behauptet.

Werfen Sie mir jetzt vor, während meines langen, politischen Engagements Fehler gemacht zu haben? Ich habe in meiner politischen Karriere zwei Fehler begangen: Der erste war meine Furcht vor, wie ich es damals nannte, „alten Großmachtfantasien“ im Zuge der deutschen Einheit. Der zweite war die Vorstellung, dass wenige avantgardistische Staaten Europa voranbringen könnten. Ich habe heute kein Problem, das zuzugeben.

Das waren Ihre einzigen Fehler?

Wenn es noch andere geben würde, würde ich darüber schweigen.

Was ist mit Ihrem Austritt aus der grünen Partei 2011?

Diese Entscheidung ist eine logische Konsequenz der Entwicklung dieser Partei. Nachdem der neoliberale Flügel unter Metzger und Scheel andere Strömungen marginalisiert, die grünen Grundprinzipien über Bord geworfen hatte und sich des Kulturbruchs erdreistete, mit den Konservativen unter Frau Merkel den Kotau einzugehen, war für mich diese Partei unmöglich geworden.

Warum so unversöhnlich?

Entschuldigen Sie, man kann doch nicht alle Überzeugungen aufgeben, nur um an die Macht zu kommen. Ich muss es sagen: Ich begreife mich, und das ist kein Altersstarrsinn, immer noch als Linker. Gestern habe ich meinen Dany …

… Ihren Sprecher Cohn-Bendit …

… meinen Dany beruhigt und gesagt: Linke wird es immer geben, mach dir mal da keine Sorgen.