Objekte, Funktion und der Alltag

Das 50-jährige Bestehen des Fachgebiets Produkt-Design bot der Kunsthochschule Anlass zur Ausstellung „Kontinuität und Wandel: Gestaltungsideen aus Weißensee“. Der Mensch und seine Bedürfnisse spiegeln sich in den Entwürfen wider

von THOMAS PAUL

Manches Objekt im öffentlichen Raum – etwa das Erscheinungsbild der BVG von MetaDesign – lässt ahnen, dass Design in Berlin eine Rolle spielt. Andererseits lassen die weder vandalismusresistent noch funktional befriedigenden Bushaltestellen nicht ahnen, dass hier immerhin zwei staatliche Ausbildungsstätten für „Industrial Design“ ansässig sind. Eine davon, die Kunsthochschule Weißensee, stellt aus Anlass des 50-jährigen Bestehens ihres Fachgebiets Produkt-Design eine Auswahl aktueller Arbeiten in der „Sammlung Industrielle Kunst“ vor.

Der Entwurf für einen Berliner Doppelstockbus, mit dem Stefan Schönherr sein Diplom bei Prof. Helmut Staubach ablegte, erscheint äußerlich wie eine bloße Weiterentwicklung des bislang geläufigen Typus. Warum ist eine Neugestaltung überhaupt notwendig?, mag man sich fragen. Wer sich daran erinnert, dass in den früheren Bussen der Gang im oberen Deck auf einer Seite war, was bei der großstädtischen Angewohnheit, sich auf den äußersten Platz zu setzen, immer zu von Brummen begleitetem Aufstehen und Durchrücken führte, weiß um die Notwendigkeit von Erneuerungen. Auch dass es inzwischen drei statt zwei Aus- und Einstiege gibt, ist ein Fortschritt. Doch das Maß an Optimierung ist – dank technischer Entwicklungen – wohl nie erschöpft, wie etwa der frei von Hindernissen mögliche Zugang mit Rollstühlen oder Kinderwagen.

„Unser Ausgangspunkt ist nicht das Industrieprodukt, sondern der Konsument, also der Mensch. Darum können wir unser Erzeugnis, also unsere Form von seiner Nützlichkeit, für den Menschen entwickeln“, resümierte einst Rudi Högner, der 1953 die „Abteilung Formgestaltung“ an dem damals unter „Hochschule für bildende und angewandte Kunst“ firmierenden Institut aufzubauen begann.

Sein Diktum trifft auch auf die heutigen Produkte noch zu, wie das höhenverstellbare Waschbecken „Ohne Altersbegrenzung“, das Anna Dabrowski konzipiert hat. Das Objekt erscheint fast schon zu simpel: Eine kreisrunde Schale mit einer schlichten Armatur, die von einem flexiblen Schlauch mit frischem Wasser gespeist wird, und dem Abfluss in einem Trompetenfuß, dessen oberer Schaftteil in der Höhe verändert werden kann. Die Tücke liegt allerdings im Detail: Im flexiblen Abfluss dürfen keinerlei Widerstände vorhanden sein, die zu einer Verstopfung führen können, und auch ein Geruchsverschluss ist vonnöten, soll nicht der ganze Raum nach Kanalisation riechen. Hier war die Fähigkeit der Designerin gefragt, aus funktionaler Anforderung und formaler Ästhetik eine optimale Gestalt zu entwickeln.

Verstanden als „umfassender Charakter der Objekte“, erschließen sich die Exponate auf einem Weg, der bereits verlassen schien: Die Gestaltung der Funktion ist in jedem Detail des Gegenstands ablesbar. Es nimmt deshalb nicht wunder, dass man sich in der Ausstellung an die Anfänge der 1970er-Jahre erinnert fühlt, in denen der materielle Wohlstand, seinerzeit übrigens in beiden Deutschlands, die Gestalter animierte, die Welt total neu zu entwerfen. Doch was formal möglich erschien, war in gesellschaftlicher Hinsicht noch lange nicht greifbar, und so blieb es bei den heute wieder faszinierenden Utopien.

Den Visionen jener Zeit könnte auch der Arztsitz für Rettungshubschrauber von Dina Gorbatschow und Sophia Stezenko entsprungen sein, doch er wurde in enger Zusammenarbeit mit der Abteilung Luftrettung des ADAC entwickelt. Das Projektstudium der Kunsthochschule legt den Entwürfen einen unbedingten Bezug zur Realität zugrunde. Auch der Doppelstockbus für Berlin wurde mit MAN Salzgitter als Projektpartner entworfen, wie auch die zahlreichen anderen gezeigten Verkehrsmittel mit Supervision von Eisen- und Straßenbahnherstellter entwickelt wurden. Selbst die nicht gerade alltägliche „Schwimmende Tankstelle für Wassersportler“ von Peggy Truxa wurde von einer Werft begutachtet.

Jenes Berliner Design, das sich jüngst mit dem „Designmai“ populär präsentierte, hat seinen Ursprung in der Universität der Künste. Am Fachbereich Industrial Design wurde unter der Ägide von Hans (Nick) Roericht das Berufsbild des Designers über die Gestaltung und deren Randbedingungen hinaus verschoben: zum Fachmann für ein Produkt, das heißt, über jene die Herstellung betreffenden Abläufe, Arbeitsverhältnisse, ökologischen Bilanzen auch die Kommunikation und die Distribution zu managen und gar selbst in den Händen zu haben.

Dagegen setzt die Kunsthochschule in ihrer Ausbildung auf das spezialisierte, abgegrenzte Berufsbild des Designers, der sich in der Zusammenarbeit mit Industrieunternehmen bewährt. In dieser tradierten Auffassung wird auch der Modellbau als ein Teil des kreativen Prozesses begriffen, in dem ein Gegenstand handwerklich überprüft werden muss. Die Didaktik der Lehre wird allerdings nicht thematisiert.

Bedauerlich ist die verkürzte Darstellung der 50-jährigen Vergangenheit auf eine chronologisch angelegte Synopse. Die bereits gut aufgearbeitete Geschichte der Formgestaltung, um im Terminus der Vergangenheit zu bleiben, hätte ein vertiefte Darstellung verdient. An ihr lässt sich die politische Einflussnahme, lassen sich vor allem aber einige unabhängig vom kapitalistischen und sozialistischen Alltag entstandene Gleichzeitigkeiten im Design aufzeigen. Dafür wäre insbesondere die „Sammlung Industrielle Gestaltung“ der geeignete Ort gewesen, schließlich verfügt sie über eine nahezu vollständige Kollektion der in der DDR gestalteten Objekte. Dennoch ist eine Präsentation gelungen, in der die klassische Seite aktueller Produktgestaltung umfassend gewürdigt wird. Sie lässt die Hoffnung keimen, dass die allgegenwärtigen, aktuell als „Abort-Tempel“ auftretenden Münztoiletten irgendwann eine adäquate Gestalt erhalten.

Bis 28. Sept. 2003, Sammlung Indus-trielle Gestaltung, KulturBrauerei, Knaackstr. 97, Berlin-Pankow, Mi.–So., 13–20 Uhr