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: Trainer-Duell beim EM-Spiel gegen die Schotten

Rudibertis Bravehearts

Ein Zufall ist es nicht, dass Berti Vogts ausgerechnet in Schottland landete. Schon in seinen glorreichen Zeiten als Bundestrainer fühlte er sich stets den „Bravehearts“ verbunden, die all das verkörpern,was der einstige Rasenterrier an Fußballern schätzt. Kampfkräftige, robuste Kerle ohne jeden Hang zu Glamour und Selbstdarstellung; keine Künstler, sondern Haudegen, die bis zum Schlusspfiff alles aus sich herausholen, egal, gegen wen und worum es geht. Zum Beispiel 1992, als sie bei der EM in Schweden schon ausgeschieden waren, aber trotzdem die Russen niederkämpften und damit das deutsche Team ins Halbfinale brachten. Bertis Elogen wollten damals kein Ende nehmen.

Seit eh und je sind die Schotten auch als hervorragende Verlierer bekannt, eine Eigenschaft, die Vogts vielleicht besonders bewundert, weil sie ihm komplett abgeht. Eigentlich war der Deutsche ja dazu ausersehen, die Anlässe für vorbildliches Verlierertum drastisch zu reduzieren, was bisher gründlich schief ging. Das heutige Match in Glasgow gegen das DFB-Team (16 Uhr, ARD) wäre eine günstige Gelegenheit, mit dem Gewinnen anzufangen – möglicherweise sogar die letzte, denn die Geduld der Schotten mit dem kleinen Mann aus Germany scheint fast aufgebraucht.

Ein pikanter Winkelzug der Geschichte, dass es Vogts heute genau mit der Mannschaft zu tun bekommt, die er immer gern gehabt hätte. Während seines gesamten Daseins als Bundestrainer musste er sich mit selbst ernannten Lautsprechern wie Matthäus, Effenberg oder Basler herumärgern, mit sensiblen Diven wie Möller oder Häßler, mit aufgeblasenen Möchtegern-Weltstars wie Illgner oder Berthold. Einsamer Fels in der Brandung war kein anderer als Rudi Völler, der populäre Rackerer mit Tordrang, ein geradezu schottenhafter Typ. Er sollte Bertis bester Schüler werden und hat nun als dessen Erbe im Überfluss das Glück, welches dem Kleinenbroicher meist versagt blieb.

Die alten Störenfriede sind in die Wüste, nach Belgrad oder in die Weltliteratur geflüchtet, der zahlreiche Nachwuchs präsentiert sich durchweg so, als sei er im Berti-Vogts-Internat für bodenständige Fußballtalente groß geworden. Was in gewisser Weise auch stimmt, schließlich haben die jungen Zahmen der Bundesliga meist das von Vogts mitkonzipierte Nachwuchssystem durchlaufen.

Langweiler allesamt, sagt Mario Basler und hat wie immer hundert Prozent Recht. Außer Kevin Kuranyi, dem man kraft seines coolen Gesichtsbewuchses zutraut, irgendwann einmal ein bisschen aus der Spur zu geraten, sind die jungen Nationalspieler von einer Bravheit, die jedes Bravehart erschauern ließe – und genauso spielen sie auch: solide, aufopferungsvoll, dynamisch, gut. Rudiberti-Fußball in Vollendung. Völlers großes Verdienst ist es, Leute wie Friedrich, Freier, Hinkel, Lauth, Kuranyi, Rau so schnell nach der Vizeweltmeisterschaft ins Team integriert und dafür einige verdienstvolle Kräfte still und heimlich abserviert zu haben.

Nur dumm, dass der Charakter auch auf das Spiel abfärbt, weshalb im Völler-Team einem Spieler eine Schlüsselstellung zukommt, mit dem Berti Vogts in seiner Leverkusener Zeit ganz schlecht ausgekommen ist: Michael Ballack, der rapide zur Spielerpersönlichkeit reift und den entscheidenden Schub Kreativität liefert. Eine Mannschaft, die nur aus Rudibertis Bravehearts besteht, lernt nämlich vor allem eines: gutes Verlieren. MATTI LIESKE