Sachsens kleiner Emporkömmling

Der FC Erzgebirge Aue ist seit sieben Spielen ungeschlagen. In der Zweitligatabelle hat ihn das mittlerweile auf Rang sechs steigen lassen – und damit in Aufstiegsnähe. Mehr noch aber verwundert, dass der Verein ganz ohne Schulden auskommt

AUS AUE RONNY BLASCHKE

Es dauert einen Moment, um die Pointe zu entdecken. Ein unscheinbarer Satz, nur drei Wörter, aber er genügt, um in Aue schlichte Anekdoten zu krachenden Lachern zu befördern. „Gab es Skandale?“, wird Uwe Leonhardt gefragt, der Vorstandsvorsitzende des FC Erzgebirge. Und? Gab es sie in Aue? Zwielichtige Gestalten auf der Durchreise beispielsweise, mit Dollar-Zeichen in den Pupillen, die den Fußball mit Monopoly verwechselten und Millionen verzockten, wie in anderen ostdeutschen Städten, wie in Dresden, in Magdeburg oder in Leipzig.

„Hmm“, zögert Leonhardt, 45, und lächelt. Nein, er lacht, laut sogar. Er kann die Geschichte wohl selbst nicht glauben, die sich bei Erzgebirge Aue ereignet hat, in einer Kleinstadt mit 19.000 Einwohnern, im Süden Sachsens, wo ein Viertel der Bevölkerung auf der Suche nach Arbeit ist. Skandale also? „Fehlanzeige“, entgegnet Leonhardt immer noch amüsiert. Schulden? „Nicht einen Cent“, setzt er fort. In der Zweiten Liga hat sich der Verein auf Platz sechs geschoben, noch vor sieben Wochen war er auf Rang 17 versackt. Am Freitag siegte Aue zu Hause gegen Energie Cottbus mit 1:0. Es war ein heißblütiges Ostderby, das kurz vor dem Abbruch stand. Feuerwerkskörper hatten randalierende Cottbuser Fans auf den Rasen geworfen.

Aues Serie aber wurde fortgesetzt: In den letzten sieben Spielen hat der FC Erzgebirge 18 Punkte gehamstert und nicht einmal verloren. Der FCE, schuldenfrei und erfolgreich, eine winzige Enklave im deutschen Fußballzirkus – und das in der sächsischen Diaspora. Eine Antithese, wie sie größer kaum sein könnte. Vielleicht sogar ein Wunder? „Eher hart erarbeitet“, sagt Heinrich Kohl, Aues Bürgermeister. Ein erarbeitetes Wunder? „Ja, so können Sie das schreiben.“ Kohl lacht, sie lachen in diesen Tagen alle in Aue.

Ganz Sachsen ist stolz auf seinen kleinen Emporkömmling. Uwe Leonhardt sagt, der Klub betreibe „Außenpolitik für die Region“. Zum ersten Mal seit einem Jahr war das Erzgebirgsstadion am Freitag wieder ausverkauft. 16.500 Menschen kamen, fast die ganze Stadt traf sich unterm Flutlicht. Es ist nicht die erste Statistik, die in diesem Jahr steil nach oben steuert. Mit 99 Sponsoren ist der Verein in die Saison gestartet, mittlerweile sind es 160. 5,1 Millionen Euro beträgt das Budget. 2,7 Millionen werden von den Fernsehgeldern abgedeckt, den Rest steuern mittelständische Unternehmen bei. Die Spanne der Zuschüsse reicht von 2.000 bis 300.000 Euro.

Aue hat keine andere Wahl, es beherbergt keine Weltfirmen. Das Wismut-Kombinat, in dem 40 Jahre lang Uranerz gefördert wurde, liegt seit 1990 still. Es war die Zeit, in der die Fußballer ihren alten Namen ablegten, aus Wismut wurde Erzgebirge Aue. Und es war die Zeit, in der die Klubführung wechselte. Eine schleichende Entwicklung setzte ein beim FCE, der laut Uwe Leonhardt „Kultstatus besitzt und eine größere Tradition hat als Energie Cottbus“ – eine Entwicklung zum Guten.

Es ist vor allem das Verdienst der Zwillingsbrüder Uwe und Helge Leonhardt, des Vorsitzenden und seines Stellvertreters. Sie haben eine seriöse Politik eingeführt, die nicht den Erfolg für zwingend erklärt, sondern die Solidität. „Ich kann mit Verantwortung umgehen, ich muss 800 Menschen ernähren“, sagt Uwe Leonhardt, der drei Maschinenbaufabriken leitet. Er kann es sich nicht erlauben, den größten Werbeträger der Region in den Konkurs zu schubsen. „Ich bin hier verwurzelt. Wenn es schief läuft, kann ich nicht flüchten“, sagt er.

Es wird nicht schief laufen, dafür will er sorgen. Selbst als die Flut vor anderthalb Jahren im Stadion einen Schaden von 1,5 Millionen Euro angerichtet hatte, konnte Leonhardt die Löhne weiterzahlen, ohne einen Tag Verzug. Sogar aufgestiegen sind sie danach, mit einem Etat von 2,5 Millionen Euro, selbst der viertklassige VfB Leipzig hatte mehr investiert. Die Lizenz hat Aue ohne Auflagen erhalten. Trainer Gerd Schädlich, 51, früherer DDR-Oberligaspieler, hat das Prinzip der Sparsamkeit problemlos adaptiert. Sein Kader ist gespickt mit jungen Sachsen, Thüringern und Brandenburgern, verstärkt wird er von einer Hand voll Osteuropäer, zum Beispiel vom Polen Andrzej Juskowiak, der in Aue sein spätes Glück gefunden hat.

Und wo soll das Ganze noch hinführen? Fühlt sich der Auer Amüsierbetrieb schon für die Bundesliga befähigt? Trainer Schädlich lächelt, oft kommt das nicht vor. „Wir schauen immer nach oben. Selbst wenn wir Letzter wären“, sagt er. Wieder so eine Pointe.