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: HELMUT HÖGE über Geschenke-Umtauschen

„There is poison in every gift.“ (Gloria Goodwin Raheja)

Man spricht vom Geschenk- und Gabentausch auf der einen und vom Warentausch auf der anderen Seite. Ersteres geht historisch dem Letzteren voraus. Für Jacques Derrida ist die Gabe jedoch „gerade das, was dem Tausch nicht mehr stattgibt, weil es den ökonomischen Kalkül suspendiert“. Also „wenn es Gabe gibt, darf das Gegebene der Gabe nicht zu dem Gebenden zurückkehren. Die Gabe darf nicht zirkulieren, sie darf (gerade) nicht getauscht werden.“

Derrida hat sich immer wieder mit der „Gabe“ beschäftigt – ausgehend unter anderem von Marcel Mauss’ ethnologischen Untersuchungen des „Gabentauschs“ bei den Südseevölkern. Manche von Derridas Überlegungen ähneln denen des marxistischen Erkenntnistheoretikers Alfred Sohn-Rethel, der sich im Vorwort zur französischen Ausgabe seines Buches „Geistige und körperliche Arbeit“ ebenfalls mit Marcel Mauss’ Ökonomie des Gabentauschs auseinandergesetzt hat.

Für Sohn-Rethel ist das Wesentliche daran, dass „die Erwiderung der Gabe nicht am Ort des Austauschs haftet, auch nicht am Zeitpunkt oder an der Sache, die Erwiderung hängt vielmehr an der Person. Eine Person, die eine Gabe, die sie empfangen hat, ohne jedwede Erwiderung ließe, sie also als ihr persönliches und definitives Eigentum behandelte, würde sich in einen unerträglichen Gegensatz zu ihrem kollektiven Gemeinwesen setzen und ihre Ächtung provozieren.“ Hier stellt sich die Gesellschaft noch direkt dar – und her. Anders in einer warenproduzierenden Gesellschaft, in der die Menschen als Privatpersonen agieren und auf dem Markt abstrakt über den Wert (der Waren) miteinander in Verkehr treten. So gesehen ist die Gabe (noch) „anökonomisch“, wie Derrida sagt: Sie ist „das Unmögliche“ – erst recht heute.

Denken wir nur an die vielen Reichen, die sich als „Mäzene“, „Sponsoren“ oder „Stifter“ gerieren: Erst haben sie sich erfolgreich an der laut Schumpeter „schöpferischen Zerstörung“ des Kapitalismus beteiligt, und nun wollen sie die Gesellschaft partout und wenigstens parziell wieder „heilen“ (mit ihrem steuerbefreiten Vermögen und exunternehmerischem Engagement). Nicht zuletzt auch um des eigenen Heils willen. Für Marcel Mauss gibt es jedoch ein Dazwischen: „zwischen der Ökonomie und der Nicht-Ökonomie“ so etwas wie „das rechte Maß“. „Das gute Leben“, von dem Aristoteles sprach, der schon vor die Geldökonomie zurückwollte – zum Gabentausch.

Auf einem russischen Flughafen traf ich einmal eine Braunschweiger Schulklasse. Es war Ende Dezember und es schneite, so dass ihr Weiterflug ausgefallen war. Bereitwillig erzählten sie mir ihre Erlebnisse in der Braunschweiger Partnerstadt Kasan, von wo sie gerade herkamen und schon mehrmals gewesen waren. Es ging um Gastgeschenke. „Einmal haben wir mit Orthodoxen auf dem Land ein Fest gefeiert: Alle Leute aus dem Dorf haben dazu was zusammengetragen und dann mit unserer Gruppe gefeiert. Eine Mutter hatte extra einen Tag freigenommen, um zu kochen, damit sie für die zwei Gäste ihrer Tochter richtig auftafeln konnte. Man darf nie sagen: Das ist aber eine tolle Schallplatte – dann kriegt man sie sofort geschenkt. Das ist mir passiert!“

„Die Geschenke von uns sind dagegen alle blöd, weil wir uns die Sachen sofort zu Hause wieder besorgen können. Andererseits kann man mit Schokolade und Pralinen nie was ganz falsch machen, und wenn man schon mal da war, weiß man in etwa, was benötigt wird. Außerdem lassen wir auch Geld da in den Familien, für unseren Aufenthalt.“

Was war euer schönstes oder lustigstes Erlebnis in Kasan, fragte ich sie zuletzt. „Einmal waren wir in den Übungskeller einer Kasaner Band eingeladen. Als der eine Musiker seine E-Gitarre anschlug, gingen in der ganzen Straße die Lichter aus. Was für ein Anschlag.“